Die Gefährtin des Medicus
Aurel und Emy da hinter verschlossener Tür taten, schlafen war es nicht.
Ihre Mutter hätte sich vor allem über die Verschwendung erregt. Kerzen waren kostbar und wurden so gut wie nie verwendet. Man nutzte das Tageslicht und, wenn es nachließ, das Glimmen des Herdes. Ansonsten aber war die Nacht die Zeit des Schlafs. Obwohl sie sicher war, dass Josse längst verschwunden war, blickte sich Alaïs vorsichtig um, ehe sie in Richtung des Schuppens schlich. Sie fühlte sich verfolgt, nicht von bestimmten Augenpaaren, vielmehr von den vielen Geistern, die die Dunkelheit anlockte, weil sie sich in ihr am besten verstecken konnten. Sieerinnerte sich nicht daran, jemals bei Finsternis im Freien gewesen zu sein, und jener kurze Weg zwischen Kate und Scheune, bei Tage so leichtfertig genommen, stellte sich als eine nicht enden wollende Mutprobe heraus. Dennoch ward sie magisch von jenen Lichtstreifen angezogen und wollte unbedingt wissen, was hinter der verschlossenen Tür geschah.
Im Dorf war es totenstill – kaum weniger hätte sie gehört und gesehen, wenn sich an der Stelle von Saint – Marthe eine unwirtliche Einöde erstreckt hätte. Der eigene Atem, das Herzpochen und das Knacken von Wurzeln unter ihren nackten Füßen blieben die einzigen Geräusche. Als sie die Hütte erreichte und hastig an dem hölzernen Tor zog, quietschte es unerwartet laut.
Eigentlich hatte sie heimlich erforschen wollen, was das Brüderpaar dort trieb, doch ihre Angst vor der Dunkelheit verhinderte ein bedachtsames Vorgehen. Sie fiel nahezu in die Scheune, und beide Männer fuhren gleichzeitig herum und starrten sie an.
Sie erkannte die Quelle des Lichts: keine Kerze, wie sie vermutet hatte, sondern eine in Talg getauchte Fackel. Dergleichen hatte sie noch nie gesehen, wahrscheinlich trug Aurel sie mit sich wie seine chirurgischen Instrumente.
Sie achtete nicht lange darauf, sondern wurde von dem abgelenkt, was dort in der Mitte des schiefen Raums lag, auf einer von zwei Baumstümpfen gestützten Holzplatte, auf der normalerweise Fischernetze ausgebreitet wurden, um diese nach Rissen abzusuchen.
Aurel hatte sie einem neuen Zweck geweiht.
Was dort lag, was sie zunächst nicht erkannte, sondern für ein geschlachtetes Tier hielt, war das Scheußlichste, was sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Sie fuhr sich mit der Hand an den Mund, unterdrückte dadurch nicht nur einen Aufschrei, sondern auch ihr Würgen. Beides blieb ihr in der Kehle stecken, schnürte sie zu, schien sie unfähig zu machen, je wieder zu atmen oder zu sprechen.
Es war Louise – gestorben, begraben und nun zurück auf die Welt gezerrt, um ein zweites Mal aufgeschnitten zu werden.
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V. Kapitel
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»Was machst du hier?«
Es war Aurel, der das fragte, nicht sie selbst, obgleich ihr eben diese Worte auf der Zunge lagen und sie ein viel größeres Recht darauf zu haben wähnte.
Aber sie konnte ja nichts sagen, immer noch nicht, konnte nur den Kopf heben und in sein Gesicht starren. Es war ihr fremd, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Hastig blickte sie wieder zurück auf die tote Louise. Vielleicht hatte sich der schreckliche Anblick in diesem kurzen Moment gewandelt. Vielleicht war er gar nicht so schlimm, nur ein Trugbild der Nacht. Doch der aufgeschnittene, stinkende, erdige Leichnam blieb, was er war, auch, als Emy die Fackel sinken ließ und die Schatten nicht mehr furchterregend flackerten.
»Was machst du hier?«, fragte Aurel wieder, und er schien sich nicht ertappt, sondern nur gestört zu fühlen.
Alaïs brachte weiterhin keinen Ton hervor, obwohl sie ihn anklagen wollte, wie er das tun konnte – den Schuppen zu entweihen und noch mehr als diesen Louises Leib.
Doch dann war der Moment, etwas zu sagen, vorübergegangen. Aurel schien ihre Antwort nicht abzuwarten, zuckte die Schultern und wandte sich dem Leichnam zu. Konnte er schon nicht vermeiden, dass sie hier war und sein Tun beglotzte, sich davon abhalten lassen wollte er nicht.
»Es ist zum Wohl der Menschen«, sagte er lediglich. »Wie Louise geht’s vielen. Man schneidet sie auf, sie scheinend zu überleben, und dann kommen Eiter und Wundbrand und siesind hinüber … Wenn man nur wüsste, wie es sich aufhalten ließe!«
Sprach’s, beugte sich tiefer über Louises Leichnam und begann den Schnitt in ihrem Leib zu vergrößern. Quer zur Scham hatte er ihn angesetzt, als er das Kind herausschnitt, nun verlief er längs bis zu der Brust, ja darüber hinaus.
»Henri de Mondeville behauptet,
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