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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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nur die Augenlider schwer geworden, sondern vor allem die Hände. Mit jenen hatte sie über Stunden und meist in unbequemer Position etwas gehalten: eines der sonderbaren Instrumente, mit denen Aurel arbeitete, oder gar ein Körperglied der armen Louise, damit der
Cyrurgicus
das, was jeweils darunter lag, besser in Augenschein hatte nehmen können.
    Als er sie das erste Mal dazu aufgefordert hatte, hatte sie noch rüde den Kopf geschüttelt. Schlimm genug war es, diesen offenen, stinkenden Leib da liegen zu sehen, der so wenig an einen Menschen erinnerte, obwohl dieser Mensch noch vor wenigen Tagen geatmet, geredet und darauf gehofft hatte, die baldige Geburt würde heil vonstatten gehen. Ihn aber anfassen? Fühlen, dass nichts mehr pulsierte, nichts mehr atmete?
    Doch als Aurel abfällig gemurrt hatte: »Dann eben nicht« undEmy zu sich gewunken hatte, war Alaïs beherzt nach vorne getreten.
    »Denkst du etwa, ich habe Angst davor?«, fragte sie. Der Blick seiner braunen Augen traf den ihren nun schon zum wiederholten Mal. Die flackernde Fackel spiegelte sich darin.
    Wenn schon nicht beim Tanzen, dachte sie, dann jetzt …
    Obwohl sie es abstritt, hatte sie natürlich Angst. Mehrmals musste sie würgen, und es gelang ihr nur schwer, das Abendessen bei sich zu behalten. Nachdem sie sich an den Anblick des Leichnams gewöhnt hatte, bereitete ihr etwas anderes Sorge: Konnte es sein, dass Louises böser Geist sie heimsuchen würde? Dergleichen Rachsucht wurde schließlich von Menschen berichtet, die keine ausreichende Totenruhe fanden.
    Irgendwann freilich hatte die Anstrengung, auf den Beinen zu bleiben und regungslos etwas hochzuhalten, das Grübeln vertrieben. Sie gewahrte erst, dass die Nacht vorüber war, als das Morgenlicht Aurel dazu veranlasste, sein Werk zu beenden. Vielleicht war es auch nicht das Morgenlicht, sondern die Einsicht, alles Wissenswerte aus diesem Körper gepresst, gezerrt, geschnitten und gequetscht zu haben. Jeden einzelnen seiner Schritte hatte er erklärt, hatte über jede Ader, jede Sehne, jedes Organ ausführlich doziert. Nichts davon hätte Alaïs jetzt noch wiederholen können – sicher war nur, dass Louise nun wie ein geschlachtetes Tier aussah.
    Trotzdem schien er nicht endgültig von seiner Arbeit ablassen zu wollen.
    »Wir müssen sie verstecken«, meinte er. »Bis morgen Abend …«
    Verspätet sprang Emy, der sich in einer Ecke des Schuppens niedergelassen hatte, auf. Alaïs hatte nicht auf ihn geachtet. Womöglich hatte er den Großteil der Nacht geschlafen, zumindest kündeten seine steifen Bewegungen davon.
    »Das soll nicht deine Sorge sein«, erklärte er an Alaïs gewandt. »Besser, du gehst dich waschen.«
    Alaïs blickte an sich herab. Ihre Tunika war über und über von roten und gelblichen Flecken besudelt.
    Steif wankte sie hinaus. Zunächst überlegte sie noch, sich in dem Trog zu waschen, den Aurel vor zwei Tagen benutzt hatte, doch rasch wurde ihr klar, dass das Wasser nicht ausreichen würde, sämtlichen Schmutz zu beseitigen, der an ihr klebte.
    Rasch lief sie zum Meer hinunter, das grau war wie der Himmel und glatt wie Seide. Sie hatte nach frischer Luft gelechzt, doch nun kitzelte diese unangenehm in der Nase. Die übelkeit, die sie die ganze Nacht über bezwungen hatte, kehrte zurück, und diesmal vermochte sie sie nicht zu unterdrücken. Noch ehe sie die kalten Fluten erreichte, beugte sie sich über einen Ginsterbusch und erbrach sich. Zum süßlichen Gestank, der an ihr haftete, kam ein säuerlicher dazu. Ihr ganzer Körper schüttelte sich, zunächst vor Ekel, dann vor Krämpfen, die erst dann nachließen, als sie keine Essensreste mehr spuckte, sondern nur galligen Schleim.
    Warum habe ich ihm nur geholfen?, dachte sie, gereizt und übermüdet. Die Taten der letzten Nacht erschienen ihr nicht mehr aufregend, sondern nur mehr abartig.
    Aurel musste verrückt sein, so etwas zu tun! Und noch verrückter musste sie sein, ihn dabei zu unterstützen!
    Zitternd richtete sie sich auf, umso begieriger nun, das Wasser zu erreichen und die quälenden Gedanken fortzuspülen. Sie lief ins Meer, durchpflügte die Glätte der Wasseroberfläche und hieb ihre Füße in den sandigen, mit spitzen Steinen durchsetzten Boden, dass es bis zu ihrem Gesicht spritzte. Viele Male wiederholte sie das, drehte sich dabei um die eigene Achse, fühlte, wie ihre Kleidung und ihre Haare nass und schwer wurden, fühlte, wie die Haut vor Kälte und Salz brannte und schließlich auch ihre

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