Die Gefährtin des Medicus
Dienstbote?«, fragte Frère Lazaire wütend. »Ihr selbst müsst die Hilfe Gottes suchen. Und beweist es nicht Hoffart, dass Ihr es bislang nicht tatet?«
Er hob fuchtelnd die Arme. »Und habt ihr«, wandte er sich an die Dorfbewohner, »habt ihr nichts Besseres zu tun, als am helllichten Tage hier zu stehen und zu gaffen? Sechs Tage soll der Mensch schuften und am siebten den Tag des Herrn heiligen. Heute ist Sonntag – doch ist es das, was ihr tut?«
Wieder zuckten Aureis Mundwinkel, diesmal eindeutig zornig, doch obwohl Alaïs hätte schwören können, dass er zur Widerrede ansetzte, kam ihm kein Wort über die Lippen. Vielleicht lag es an Emy, der beschwichtigend vor ihn trat. Vielleicht daran, dass Frère Lazaire kehrtmachte und die Menschen nicht länger durch Worte, sondern durch seine Abwesenheit strafte. Schnell zerstreute sich die Menge.
»Komm«, sagte nun auch die Mutter und zog Alaïs mit sich.
Nur zögernd folgte sie ihr, zuvor suchte sie Aureis Blick, um ihm zu bekunden, wie sehr sie seinen Misserfolg bedauerte. Doch Aurel sah sie nicht – so wie er sie am Tag zuvor nicht gesehen hatte. Er hatte sich dem Bruder zugewandt und redete auf ihn ein, ähnlich mit den Armen fuchtelnd wie am Morgen. Wieder schüttelte Emy alsbald den Kopf. Und wieder stürmte Aurel nach einer Weile wütend davon.
Wie in der vorherigen Nacht fand Alaïs auch in dieser keine Ruhe. Doch nun waren es nicht die Stimmen ihrer Eltern, die sie wach hielten. Während des Abendmahls waren hitzige Worte gefallen, jetzt schliefen sie beide. Ray hatte sich über Frère Lazaire beklagt, Caterina ihn verteidigt, allerdings nur halbherzig, wie Alaïs befand. Mochte Caterina auch wenig Gefallen an dem fremden
Cyrurgicus
finden, ließen ihre Worte zumindest erahnen, dass sie das, was er trieb oder was er hatte treiben wollen, wenn Frère Lazaire es den Dorfbewohnern gewährt hätte, nicht für eine Sünde hielt.
Im Übrigen hatte sich nicht jeder den strengen Worten des Franziskaners gebeugt. Später, als sich die Menge auf dem Dorfplatz zerstreut hatte, war der eine oder andere um ihr Haus geschlichen, um heimlich nach Aurel zu fragen und im Verborgenen bei ihm Rat zu suchen.
Caterina hatte zum Schuppen gedeutet, wohin sich das Brüderpaar zurückgezogen hatte. Der Tochter jedoch, die sehnsüchtig dorthin geblickt hatte und neugierig gewesen war, was dort geschehen mochte, hatte sie strikt verboten, Aureis Nähe zu suchen. Es gebe genug zu arbeiten, vielleicht nicht für einen
Cyrurgicus,
ganz gewiss jedoch für eine Fischerstochter. Viele Netze seien zu flicken.
So war es Abend geworden und schließlich Nacht, doch anstatt Schlaf zu finden, wälzte sich Ala'is hin und her.
Fast dankbar fuhr sie hoch, als ein lautes Poltern sie zusammenzucken ließ. Sie lauschte angestrengt. Von unten aus der Stube kam es nicht. Eine Weile blieb es still, dann ertönte es ein zweites Mal, doch nun, da sie darauf gefasst war, war es nicht mehr erschreckend laut. Wie ein Kieselstein klang es, der gegen den hölzernen Fensterbalken geworfen wurde.
»Alaïs!«, folgte es bald raunend. »Alaïs!«
Alaïs sprang auf, schlug sich schmerzhaft den Kopf an der viel zu niedrigen Decke an, obwohl sie eigentlich wusste, dass es sich davor zu hüten galt. Wer stand mitten in der Nacht unter ihrem Fenster? Konnte es sein, dass …?
Aber Aurel hatte nicht den Anschein gemacht, als wüsste er ihren Namen, und sein Bruder Emeric, den sie – ging es nach ihm – Emy nennen sollte, würde nicht so dreist ihre Nähe suchen.
Sie zog rasch ihr Tagkleid über das Unterkleid, in dem sie schlief, und tastete sich über die hölzerne, schiefe Leiter nach unten. Die Stiege knirschte bei jedem Schritt, doch die Geräusche, die sie verursachte, waren zu leise, um ihre Eltern aufzuwecken. Nur Schatten nahm sie von ihnen wahr und ihre tiefen Atemzüge, Caterinas leicht säuselnd, Rays etwas brummend. Dann war sie auch schon bei der Türe angekommen und huschte ins Freie.
Kalte Nachtluft schnitt ihr ins Gesicht. Trüb wie am Tage war nun auch der Himmel: Keine Sterne leuchteten, keine Mondsichel spendete ihr bleiches Licht.
Eine dunkle Gestalt kam auf sie zu. Sie konnte das Gesicht nicht erkennen und wusste doch sogleich, allein ob des gebückten Gangs, wen sie vor sich hatte.
»Josse!«, stieß sie aus – nicht verächtlich, sondern enttäuscht.
»Du … Du machst mich lächerlich!«, stieß er aus.
Seine Stimme klang schwerfällig, seine Gestalt schwankte.
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