Die Gefährtin des Medicus
sinken.
»Woher … woher kommt diese Krankheit denn nur? Ich kann nicht glauben, dass die Konstellation der Sterne daran schuld ist … oder Königin Jeanne.«
Er seufzte, dann begann er wieder zu reden, rau, gleichgültig. »Die einen sagen, Erdbeben und Vulkanausbrüche hätten giftige Dämpfe aus dem Boden entweichen lassen. Andere meinen, dieLuft sei durch Miasmen verunreinigt worden. Ich … ich kann es dir nicht erklären. Die vielen toten Körper können es nicht erklären.«
Erst jetzt begriff sie, wie lange sein Kampf gegen die Seuche gewährt haben musste – ehe er ihn als hoffnungslos eingestellt hatte. Wahrscheinlich hatte er nicht nur viele Menschen sterben sehen, sondern sie auch aufgeschnitten, um in ihren Gedärmen nach den Ursachen zu wühlen.
»Warum lebst du noch? Warum lebe ich noch?«
»Ich weiß es nicht. Auch nicht, warum Menschen im besten Alter sterben, indessen Kinder und Alte in größerer Zahl überleben.«
Sie dachte an Gaspard und Régine. Sie war zu beschäftigt gewesen, um nach ihnen zu sehen, hatte sich jedoch von Raymonda stets aufs Neue bestätigen lassen, dass es ihnen noch gut erging. Raymonda war es auch, die die Kinder im Haus hielt – womit Gaspard, wie sie bestätigte, gut leben konnte, Régine aber keinesfalls. Sie wollte den Tod sehen, der da draußen wütete und den sie sich als schwarzen, furchterregenden Mann vorstellte.
»Vielleicht …«, setzte Aurel wieder zu reden an, »vielleicht … ist es ein Übermaß an kaltem oder feuchtem Blut, das dazu führt. Es lässt die inneren Organe verfaulen und dringt schließlich unter die Haut. Verdorbene Luft kann dazu führen – oder alter Fisch …«
»Was haben die anderen ärzte im Kampf gegen das große Sterben gemacht? Sie werden doch nicht alle aufgegeben haben wie du!«
Aurel zuckte die Schultern. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, und seine Hände hinterließen dunkle Schlieren. »Sie haben es mit Theriak versucht, einem Allheilmittel aus Anis, Fenchelsamen, Kümmel und Vipernfleisch. Sie haben neue Rezepturen ausprobiert, aus Feigen und Nüssen und Weihrauch. Sie haben die Kranken zur Ader gelassen, um giftiges Blut entweichen zu lassen. Aber nichts … nichts hat geholfen. Ich glaube … ich glaube, es gibt nur eine Hoffnung.«
»Welche?«
Wieder wischte er sich über die Stirn. »Man muss fortlaufen«, murmelte er. »So weit wie möglich. Das hat schon der große Galen gesagt. Man muss den Miasmen entfliehen, die aus den Kadavern strömen. Man muss sämtliche Kleidung, die man trägt, verbrennen. Und dann nach Norden gehen, immer weiter nach Norden. Die Nordwinde sind gesünder.«
Alaïs nickte, blieb aber starr sitzen. Früher hätte sie der Gedanke, irgendwohin laufen zu können, erregt. Nun war sie froh, keinen Schritt tun zu müssen. Vielleicht war nicht nur aus Aurel ein Fremder geworden. Vielleicht war auch sie ein anderer Mensch, träge, gleichmütig, abgestumpft.
Er blieb ja auch in dem Schuppen hocken. Er lief ja auch nicht davon.
»Aurel …«, setzte sie an. Sie wusste nicht, was sie von ihm fordern sollte. Eigentlich hatte sie es nie gewusst, hatte sich nur von ihm mitreißen lassen, in ein Leben, das immer seines blieb, nie ihres wurde – und das sie beide nun an diese Seuche verloren.
»Aurel …«
Er antwortete nicht. Er stand auf, und an seinem ächzen erkannte sie, wie mühsam das für ihn war. Er konnte sich auf dem Holzbein gut bewegen und gut stehen, doch sich aufzurichten war schwerste Arbeit. Der Schweiß rann förmlich von seiner Stirn; das Hemd war derart vollgesogen, dass es nicht mehr davon aufnehmen konnte.
»Du solltest dich waschen …«, murmelte sie.
Er ging in dem kleinen Schuppen auf und ab, wischte sich nicht mehr über die Stirn, sondern über die Augen. Wahrscheinlich war ihm Schweiß dorthin gelaufen und brannte nun.
»Wo … wo sind meine Kräuter?«, fragte er plötzlich.
»Welche Kräuter?«
Er beschleunigte seinen Schritt, ging nun immer schneller. »Mein Bündel … die Kräuter … man könnte die Luft reinigen, indem man wohlriechende Kräuter verbrennt.«
»Wo willst du sie denn verbrennen?«
Er stöhnte plötzlich.
»Im Feuer. Dort hinten im Feuer.«
Eben hatte sie vermeint, nie wieder zu einer Regung fähig zu sein, nun sprang sie auf. »Aurel! Dort ist kein Feuer!«
»Aber es ist doch so unglaublich heiß!«
Sein Blick flackerte, seine Augen waren nass, seine Stirn glühte.
»Du hast Fieber«, stellte sie fest.
Ein Krachen
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