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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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selbst gelebt hatte. Da wusste Alaïs, was geschehen war.
    Mochten sich die Wege der Brüder, die einst so eng verschlungen waren, auch getrennt haben, mochte zwischen ihnen Hader herrschen oder Schweigen: Der Tod roch das gleiche Blut, das in ihren Adern floss, und fiel sie zur gleichen Stunde an.

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XL. Kapitel
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    Der Eimer entglitt Alaïs’ Händen.
    »Hat er … hat er …«
    Raymonda nickte düster. »Fieber und Flecken.«
    Die Krankheit, das hatte Alaïs in den letzten Wochen herausgefunden, zeigte sich in unterschiedlichen Fratzen. Zwar kündigte sie sich fast immer mit Fieber, Kopfschmerzen und unerträglichem Durst an, doch wohingegen bei manchen die Beulen sehr schnell erschienen und wuchsen, sahen andere aus, als wäre ihr Körper von vielerlei Faustschlägen getroffen worden und darum mit roten und blauen Flecken übersät.
    Anstatt Raymonda zu folgen, die sich bereits zum Gehen wandte, griff Alaïs unwillkürlich nach dem Eimer. Er war zur Seite gekippt, das Wasser sickerte in den Boden.
    »Ich muss … ihm zu trinken bringen.«
    »Das habe ich schon getan. Ich habe dafür gesorgt, dass er sich zu Bett legt. Anfangs wollte er das nicht.«
    Es fiel Alaïs nicht schwer, sich das vorzustellen. Leise, aber stur – so war Emy. Er würde sich das Stöhnen verkneifen, das laute Wehgeschrei, das viele anstimmten, die erkannten, dass der Tod mit seinen schwarzen Händen auch nach ihnen griff – aber sich ihm einfach ergeben, das würde er nicht. Das bittere Lächeln, das so oft auf seinen Lippen saß, mochte zwar höflich wirken, aber niemals einladend.
    Alaïs’ Finger umkrampften den Eimer.
    »Aurel …«, stammelte sie. »Aurel ist auch krank.«
    Raymonda kniff die Augen zusammen. »Und jetzt willst du ihnpflegen?«, stieß sie verächtlich aus, als wäre es eine beabsichtigte Kränkung, dass der eine Bruder dem anderen auch noch in Krankheit und Sterben zuvorkam.
    »Du irrst, wenn du denkst, Aurel würde mir mehr bedeuten als dein Vater«, sagte Alaïs.
    Jetzt erst ging ihr auf, dass sie in all den Jahren niemals Aureis Namen im Beisein ihrer Tochter ausgesprochen hatte, ja, dass er auch zwischen ihr und Emy niemals gefallen war. Er war da wie ein unsichtbarer Gast, der sich zwischen sie drängte, aber man behandelte ihn, als wäre er längst tot.
    »Du musst mir nichts erklären, Mutter«, sagte sie kühl und drehte sich um.
    Ein zweites Mal entglitt Alaïs der Eimer. Dann folgte sie der Tochter, ohne sich ein einziges Mal nach dem Schuppen umzudrehen.
     
    Nie hatte Alaïs erlebt, dass die Seuche einen Menschen so sanft und leise umarmte wie Emy.
    Er wälzte sich nicht mit glühendem Kopf in seinem Lager, sondern lag so unbeweglich, als würde er sich nur von der Last des Tages ausruhen. Keine Schweißperlen kündeten von der Heftigkeit des Fiebers, nur seine glänzenden Augen, mit denen er sie anstarrte. Er schien verwirrt, als wüsste er weder, wo er war, noch wer sich seinem Krankenbett näherte. Aber er gewährte es Alaïs widerstandslos, dass sie die Decke hob, seinen Leib musterte. Auch hier erwies sich die Seuche als zahm, sie hatte ihn mit kaum sichtbaren Zeichen geschlagen.
    Alaïs hatte vor Raymonda das Haus betreten. Nun folgte ihr diese zaghaft. »Er muss sich schon länger schlecht gefühlt haben, aber er hat es keinem gesagt.«
    Ehe sie sich ans Krankenbett des Vaters setzen konnte, stellte sich Alaïs dazwischen.
    »Du darfst hier nicht bleiben!«, sagte sie scharf. Augenblicklich erwachte Kampfeslust in Raymondas Augen.
    »Bitte«, setzte Alaïs gemäßigter hinzu. »Die Krankheit trifft,wen sie will, aber nach allem, was ich über sie weiß, am liebsten den, der ihr zu nahe kommt.«
    »Aber du bist fortwährend mit den Kranken zusammen und immer noch gesund!«
    »Wer weiß, wie lange noch! Raymonda, verlass das Haus! Denk an die Kinder! Ich … ich werde bei deinem Vater bleiben.«
    Raymonda zögerte sichtlich, trat von einem Fuß auf den anderen, warf dann einen Blick auf die Tür. Reizte sie die Möglichkeit, von dieser Stätte zu fliehen – verführerisch trotz ihrer aufrichtigen Liebe zum Vater? Oder fiel ihr ein, dass auch Aurel daniederlag, ebenso Pflege brauchte und die Mutter entgegen ihrer Worte sie ihm vielleicht zuerst gewähren würde?
    »Ich verspreche es dir«, bekräftigte Alaïs, »ich bleibe hier.«
    Immer noch starrte Emy sie mit wässrigem Blick an. Alaïs hatte nicht den Eindruck, dass er irgendetwas von ihrem Wortwechsel verstanden hatte. Doch zu ihrem

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