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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Blasen.
    »Wir machen gleich eine Rast!«, entschied sie.
    Nicht weit entfernt fand sie eine passende Stelle, einen kleinen See, in den ein Nebenarm der Durance mündete. Das Wasser sah frisch und klar aus, sodass sie die Kinder davon trinken ließ. Im Schatten eines Baumes gönnte sie ihnen eine kurze Rast.
    Gewiss gab es auch Fische in dem See, überlegte sie. Sie könnte versuchen, sie zu fangen – ob es ihr freilich mit ihren morschen Knochen auch gelänge, wusste sie nicht. Wehmütig dachte sie an jenen Tag zurück, da sie im Wasser gespritzt und mit Emy gelacht hatte.
    »Was soll ich nur tun?«, murmelte sie und starrte in die dunkelgrünen Fluten. Sie konnte nicht bis zum Grund schauen, um solcherart Fische auszumachen, sah nur ihr eigenes Spiegelbild, und dann erkannte sie – sie waren ihr zuvor, als sie den See entdeckt hatte, entgangen – mehrere Holzwägen hinter sich.
    Sie fuhr herum und kletterte die Uferböschung hoch. Es waren die Wagen von Händlern – einige, die üblicherweise von Hand, andere, die von Maultieren oder Rindern gezogen wurden. Weit und breit jedoch waren keine dieser Lastentiere zu sehen, weit und breit auch keine Menschen. Vielleicht hatten sie vor der Seuche schneller fliehen wollen, als es mit ihren Waren möglich gewesen wäre, und sie hatten lieber ihr Vermögen zurückgelassen, als ihr Leben zu verlieren.
    Giacinto Navale, dachte sie, hätte niemals darauf verzichten können …
    Aläis lugte in den einen Wagen und fand Weinfässer vor. Eines war undicht geworden, rötlicher Saft war herausgeronnen, dessen vergärender Geruch ihr durchdringend in die Nase stieg. Kurz kämpfte sie mit der Verlockung, sich so lange zu betrinken, bis sie nicht mehr wusste, wo sie war und warum, aber dann dachte sie an die Kinder, die im Schatten eingeschlafen waren. Sie musste nüchtern bleiben. Im nächsten Wagen fand sie Tonkrüge und Platten, desgleichen ein paar Kupferteller und – bêcher.
    Nutzloses Zeug, dachte sie ärgerlich. Vom dritten Wagen stieg grässlicher Gestank hoch. Sie wich so schnell zurück, dass sie nicht prüfen konnte, ob er von verfaultem Fleisch oder Gemüse kam – ungenießbar war es auf jeden Fall.
    Beim letzten Wagen juchzte sie auf. Ein riesiger Sack Getreide befand sich darin. Sie würden zwar nicht alles mitnehmen können, aber einen guten Teil davon, und wenn sie ohne Ofen auch kein Brot daraus backen konnte, so konnte sie zumindest die Körner mit Steinen zerstampfen und Brei daraus kochen. Vielleicht, ging ihr auf, sollte sie doch auch von dem Geschirr mitnehmen. Im nächsten Augenblick ward sie jedoch abgelenkt – von drei Ballen Leinen im nächsten Wagen, grob, aber sauber.
    Sie dachte daran, was Aurel ihr von der Krankheit erzählt hatte, wusste augenblicklich, was sie damit tun konnte, und befand das Leinen für den noch wertvolleren Fund als das Getreide.
     
    Rasch weckte sie die Kinder auf. Régine erhob sich sofort, nachdem sie sie nur sacht gerüttelt hatte. Gaspard hingegen rieb sich lange verträumt die Augen und sah aus, als würde er, wie zuvor, zu weinen beginnen.
    »Wir machen ein Spiel!«, rief Alaïs und bemühte sich darum, ihre Stimme möglichst mitreißend klingen zu lassen.
    »O ja!«, rief Régine.
    »Ein Spiel, das ihr noch nicht kennt!«, fügte Alaïs hinzu, dann deutete sie auf den See. »Wir werden dort baden, und zu diesem Zweck werden wir sämtliche Kleider ausziehen.«
    Gaspard hörte auf, seine Augen zu reiben, und blickte verwirrt drein. Auch Régine, die schon zum kühlenden Nass losgestürmt war, blieb stehen. »Alle Kleider ausziehen?«, fragte sie bestürzt. »Aber das dürfen wir nicht! Mutter hat gesagt, dass keiner den anderen nackt sehen darf.«
    Alaïs widersprach nicht sofort, sondern nickte zunächst. »Das ist auch wahr. Und es gilt für alle Tage des Jahres. Für fast alle. Heute aber ist ein besonderer Tag.«
    Und dann begann sie selbst ihre Kleidung abzulegen. Ihr Unterkleid, die Tunika mit den angeknüpften ärmeln, ihren kreisförmigen Umhang. Der Stoff war verschwitzt, und als sie den sachten Wind auf ihrer nackten Haut spürte, seufzte sie ob dieser Wohltat. Rasch war Régine ihrem Beispiel gefolgt, warf zwar scheue Blicke auf die erschlaffte, runzelige Haut der Großmutter, aber half dann auch Gaspard. Zunächst schrie dieser empört auf, doch schließlich fügte er sich den entschlossenen Handgriffen der Schwester, so wie er es meistens tat.
    Endlich waren sie nackt.
    »Und jetzt gehen wir ins Wasser!«,

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