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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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gewinnen, wenn erst einmal das Piémont unserem Land einverleibt werde. Was wurde uns nicht allen damit verheißen? Dass uns nun endlieh das Tal von Stura zugänglich wäre! Dass wir nun Einfluss über den Pass de Lärche bekämen! Von wegen! In Wahrheit ist nichts anderes geschehen, als dass immer mehr dieser verfluchten Italiener und Franzosen nach unseren ämtern greifen. Wenn ich mich morgen gegen den König erheben würde, so säße übermorgen einer von ihnen auf meinem Stuhl. Er wäre des Provença – lischen ebenso wenig kundig wie des Okzitanischen – aber was soll’s? Was zählen schon Familie und Tradition, wenn man beides mit einem Federstreich beiseitefegen kann?«
    Er stand nun starr, als wären seine Füße mit dem Boden verwurzelt, und blickte nachdenklich vor sich. »Wisst ihr, dass der königliche Hof sogar darüber bestimmt, wer Waffen tragen darf und wer nicht? Früher konnten wir uns in grausamen Fehden wenigstens niedermetzeln, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und jetzt? Jetzt würde der Aixer Hof gewiss auch gerne festlegen, wann wir zu scheißen haben.«
    Die derben Worte passten nicht zu ihm, und doch schienen sie ihm Vergnügen zu bereiten. Der Anflug eines Lächelns huschte über seine Lippen und bekundete kindlichen Trotz. Mochte er sich vieles verbieten lassen – das Reden nicht.
    Noch einen weiteren Schritt machte Aurel auf ihn zu. Emy hob die Hände, schien ihn zurückhalten zu wollen, doch Aurel achtete nicht auf ihn. Obwohl Alaïs es nicht sehen konnte, war sie gewiss, dass seine braunen Augen sich werbend in das Gesicht des Comte bohrten.
    »Offenbar sehnt Ihr Euch nach Freiheit«, hörte sie ihn leise sagen. »Versteht Ihr nicht, dass ich dasselbe will? Ich … ein Provençale wie Ihr.«
    Der Comte de Robessard schnaubte. »Was Ihr wollt, ist mir völlig gleich. Vielmehr interessiert mich, was der Franziskaner will. Nämlich ein Exempel statuieren, wonach die Mönche den Herrschern vorgeben, was jene zu tun haben. So wie König Robert sich von seinem Beichtvater ins Ohr flüstern lässt, was er entscheiden soll.« Er stampfte auf, die schweren Eichendielen knackten. »Aber mit mir nicht«, zischte er, »Mit mir nicht.«
    Seine Stimme wurde vom Prasseln des Feuers fast übertönt. Es fraß sich in ein besonders großes Stück Holz, loderte funkensprühend auf.
    »Was werdet Ihr tun?«, fragte Aurel, und Alaïs wusste nicht, woher er die Kraft nahm, so kühl und furchtlos zu sprechen. Irgendetwas fehlt ihm, ging es ihr durch den Kopf – irgendetwas, was in anderen Menschen Furcht zeugt, aber auch Mitleid, was sie zu Betrügern und Heuchlern macht, aber auch zu Liebenden und Lachenden, was sie zur Vorsicht gemahnt, manch eigenen Gedanken bei sich zu behalten, und ihnen zugleich die Feinfühligkeit verleiht, die Gedanken der anderen zu lesen.
    Nein, nichts davon konnte Aurel.
    Nur Tote aufschneiden, dachte sie, das kann er.
    Vielleicht konnte er auch mit dem Wissen, das er dabei erwarb, Menschen vor dem Tod bewahren. Aber das hatte sie noch nicht erlebt, Louise ausgenommen, und jene war am Ende doch verreckt.
    »Was werdet Ihr tun?«, fragte Aurel wieder.
    Alaïs wagte kaum, sich zu rühren. Wusste sie auch mit den meisten Worten des Comte nichts anzufangen, so ahnte sie doch, dass er im nächsten Augenblick über ihr Leben entscheiden würde.
    »Ich?«, sprach da der Comte, und wieder klang es trotzig. »Ich soll etwas tun? Mitnichten werde ich das! Ich lasse mich doch nicht zum Lakaien eines dieser Bettelbrüder machen. Meine Familie hat in diesem Land geherrscht, als es noch keiner aus dem Haus Anjou betreten hatte und diese schmutzigen, ärmlichen Frömmler noch nicht aus ihren Löchern gekrochen waren, um fortan Ketzer zu verbrennen. Nein, gar nichts werde ich tun … Das bleibt vielmehr euch überlassen!«
    Sein Blick war sichtlich angewidert, als er Aurel musterte, so, als stünde Frère Lazaire an dessen Stelle vor ihm. Wahrscheinlich sah er auch keinen großen Unterschied zwischen einem ärmlich gekleideten Franziskaner und einem ebenso ärmlichen
Cyrurgicus.
    »Und was … was ist es, das Ihr von uns erwartet?«, fragte Aurel.
    Henric de Robessard schüttelte wieder den Kopf, als könnte er solcherart jene unliebsame Unterbrechung seines Alltags rascher vergessen. »Ihr werdet heimlich aus dem Kerker fliehen«, erklärte er. »Zumindest wird alles danach aussehen. Und dann, dann möchte ich euch nie wieder auch nur in der Nähe meines Gebietes sehen.« Er

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