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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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verwundert an, entweder von ihrem Tatendrang überrascht oder aber, weil er überhaupt erst inne wurde, dass er nicht mehr mit seinem Bruder allein unterwegs war.
    »Nein«, sagte indes Emy und stocherte immer noch mit dem Zweiglein in der Asche. »Nein, du musst nicht für uns schuften. Es ist unsere Schuld, dass du in diese Lage geraten bist. Also tragen wir Verantwortung für dich. Wir werden so gut es geht dafür sorgen, dass es dir wohl ergeht.«
    Selten machte er so viele Worte auf einmal. »So ist es doch, Aurel, nicht wahr?«, fragte er abschließend und hob nun den Blick.
    Aurel grummelte irgendetwas, was Alaïs nicht verstand. Es klang nach Zustimmung, und sie wollte nicht näher erkunden, wie aufrichtig diese gemeint war.
    Doch Emy verlangte mehr. »Nicht wahr?«, fragte er wieder.
    »So ist es«, fügte sich Aurel erstaunlich kleinlaut. »Sie kann mir dann und wann auch behilflich sein.«
    Alaïs warf verwirrte Blicke zwischen dem Brüderpaar hin und her und wusste nicht, aus wem sie weniger schlau wurde: aus dem stolzen
Cyrurgicus,
dem nichts je etwas anzuhaben schien, oder aus dem älteren Bruder, der sich meist als willfähriger Lakai erwies, wortkarg, tumb und gleichgültig, um dann und wann so forsch zu befehlen, als obläge es im Zweifelsfalle ihm, Machtworte zu sprechen.
    Emy erhob sich und schüttelte sich die Asche von seiner Tunika. »Dann lasst uns aufbrechen! Wir sollten nach einem größeren Dorf Ausschau halten!«
     
    Mit der Zeit verblasste die Erinnerung an das Grauen des Kerkers. Als sie von Dorf zu Dorf zogen, wo Aurel Kranke behandelte und Emy dafür Geld eintrieb, wurde Alaïs wacher für die Menschen, denen sie begegnete, und die Gebräuche, die deren Leben bestimmten. In Küstennähe trafen sie auf viele Fischhändler, die von Hyères, Marseille und Berre kamen und ihre Fracht über Aix ins Landesinnere transportierten. Vertraut war der Geruch, der um sie schwebte. Alaïs wusste, am Dienstag, Donnerstag und Freitag wurde Fisch gegessen – und deshalb wurde er am Vorabend verkauft.
    Ungewohnter waren für sie die Bauern, die vom Landesinneren her Waren brachten: getrocknetes Obst und dunkelbraune Nüsse, vor allem aber selbstgebackenes Brot, das verführerisch duftete. Manche schleppten die Ware auf dem Rücken, andere hatten Esel, was den Marsch erleichterte, aber höheres Brückengeld erforderte. Dann gab es wiederum Bauern, die nichts verkaufen wollten, sondern nur ihr Getreide zu den naheliegenden Mühlen brachten. Sie gingen schweigend, mit ernsten, gefurchten Gesichtern, indessen die Pilger, denen sie begegneten, ergriffen Psalmen sangen.
    Zur heiligen Maria nach Rocamador wollten die einen, andere nach Saint – Maximin, um den Segen der heiligen Maria Magdalena zu erbeten, deren Gebeine man vor wenigen Jahrzehnten dort gefunden hatte.
    Am meisten faszinierten Alaïs die fremd anmutenden Händler, die von weither kamen, nicht nur aus dem Norden Frankreichs, der Champagne, sondern, wie Emy berichtete, auch aus Flandern und aus England. Alaïs hatte die Namen dieser Länder nie gehört, und auch Emy wusste davon nur zu erzählen, dass sie erst nach wochenlanger Reise zu erreichen waren, nicht aber, wie es dort aussah, ob auch dort karge Berge die Landschaft zerklüfteten und dazwischen blühend satte Wiesen und Felder aus roter Erde standen wie hier.
    Ihre teuren Handelsprodukte – Wolle und Tuch – bewachten sie streng. Das Einzige, was Alaïs zu Gesicht bekam, waren ein paar Amphoren Wein und Getreidesäcke, desgleichen die Rinder, die manche mit sich führten und die stets paarweise gebunden waren.
    »Wohin ziehen sie?«, fragte sie, und wieder war es Emy, der zu antworten wusste.
    »Entweder zu den großen Häfen an der Küste, um von dort nach Pisa und Genua zu reisen. Oder sie kommen von dort und gehen nun die Saône und dann die Loire entlang, bis sie Paris erreichen.«
    Manche Wege waren schmal und erdig, andere breit und sogar gepflastert. Bunt war das Land an ihren Rändern, viel farbenfroher als das Gestein, das Saint – Marthe umgab, und die verdorrten, stacheligen Gräser und Büsche, die darauf hockten: Selbst auf den knorrigsten Bäumen sprießten hier noch Blüten, lila und gelb, rot und blau.
    Anders als sein Bruder achtete Aurel nicht darauf und wussteauch nichts über das Land und seine Menschen zu erzählen. Er lebte allein dafür, Kranke zu behandeln wie in Saint – Marthe – und solcherart ihrer aller Lebensunterhalt zu verdienen. Bald gewöhnte sich

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