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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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jemals gesehen hatte. In Saint – Marthe trug man Grau und Braun, hier jedoch Purpur und Nachtblau, funkelnde Gürtel und schwere Ketten um den Hals. Einer der Männer hatte einen großen, schweren Schlüssel daran hängen.
    War das Comte Hernie de Robessard?, fragte sie sich. Wer aber waren dann die anderen? Und vor allem: Waren sie allesamt hier, um über Aureis Untat zu richten?
    Obwohl niemand sie ihr abgenommen hatte, schnitten sich die Stricke nicht länger schmerzhaft in ihre Hand, sondern hingen nun, da nicht länger daran gezerrt wurde, lockerer am Armgelenk. Sie fühlte, wie es kribbelte, als Blut hineinfloss, während sie angespannt darauf wartete, was geschehen würde.
    Das Gemurmel der Männer ebbte nicht ab. Kein einziges Mal hatten sie sich nach den Ankömmlingen umgeblickt, obwohl Alaïs sicher war, dass ihnen nicht entgangen war, was hinter ihrem Rücken geschah. Der eigene Atem und das eigene Herzpochen klangen immer lauter in ihrem Kopf. Doch nicht nur sie wurdeimmer ungeduldiger. Ohne Vorwarnung trat einer der Männer, die sie gebunden und hierher gezerrt hatten, vor und schlug Aurel so fest auf den Rücken, dass der zu Boden fiel. Er unterdrückte einen Klagelaut, Alaïs hingegen schrie auf, und erstmals tat sich etwas in der Fensternische. Die Blicke der vier trafen sie, eher verdrießlich als empört.
    Jener, der am kleinsten wirkte und am müdesten aussah, hob wortlos die Hand, woraufhin die anderen nickten und ohne Hast den Saal verließen. Um Aurel schlugen sie einen möglichst großen Bogen.
    Alaïs ahnte, dass jene Männer die engsten Mitarbeiter des Comte waren – ein Richter, ein Schatzmeister, vielleicht einer der Notare. Sie war erleichtert, denn wenn Comte Hemic alleine über ihren Fall entschied, dann konnte das doch nur bedeuten, dass er ihn nicht für besonders schwerwiegend befand und dazu keine hilfreiche Stimme brauchte, die ihm Rat zuflüsterte.
    Allerdings, und dieser Gedanke kam ihr, als sie in Emys sorgenerfülltes Gesicht sah: Wenn er der Einzige war, der über sie richtete, wer war dann da, um sie zu verteidigen?
    Der Comte maß sie nur flüchtig und gab schließlich auch den Männern, die sie hergeschafft hatten, ein Zeichen zu gehen.
    Nunmehr allein mit ihm und den Brüdern, hatte Aläis das Gefühl, dass der Saal immer größer und größer würde und sie selbst darin schrumpfte.
    Unvermittelt setzte der Comte zu reden an, ohne Gruß, ohne höfliche Floskel.
    »Man sagt euch nach, ihr hättet die Leichen angesehener Bürger geschändet. Was habt ihr dazu vorzubringen?«, fragte er schlicht.
    Aurel rappelte sich auf. Es fiel ihm sichtlich schwer, und er musste sich mit den gefesselten Händen am Boden aufstützen, um genügend Kraft zu finden. Emy wollte ihm helfen, doch als er zu seinem Bruder trat, schüttelte Aurel knapp den Kopf und plagte sich verbissen ohne Beistand weiter. Tief atmete er ein, als er endlich stand.
    »Ich habe nichts Unrechtmäßiges getan«, bekannte er schließlich. Seine Stimme klang nicht stolz wie sonst, sondern gepresst.
    Immer noch wahrte Comte Henric Abstand. Es war schwer, seine Miene zu deuten. Sein Gesicht wirkte grau, alt und müde. Mochte seine Kleidung auch edler sein und sein Stand mehr Vornehmheit versprechen, so nahm Alaïs doch jene gefasste Ergebenheit ans Leben wahr, wie sie auch die Alten von Saint – Marthe bekundeten: jenes kampflose, gleichwohl manchmal übellaunige Aufgeben von Erwartungen, die niemals erfüllt worden waren.
Es gibt den Fisch, den es gibt,
sagten jene Männer, wenn sie vom Meer kamen und die Ausbeute nur mager ausgefallen war. Und auch wenn der Comte nie eigenhändig Fisch gefangen hatte, gewiss würde sein Urteil ähnlich ausfallen, befände er sich an der Stelle der abgehärteten Männer.
    Nun seufzte er, anstatt etwas zu sagen.
    »Sektionen zur Erforschung der menschlichen Anatomie sind kein Verbrechen«, fuhr Aurel fort. »An der Universität von Montpellier …«
    Unwirsch hob der Comte die Hand, so wie zuvor, da er wortlos den Befehl erteilt hatte, mit den Delinquenten allein gelassen zu werden. »Erklärt mir nichts!«, fiel er Aurel ins Wort. »Ich weiß, dass an der Universität dergleichen üblich ist. Doch dort werden zu diesem Zweck Gesetzesbrecher verwendet, keine rechtschaffenen Menschen. Man kann sich die Leiber, die man braucht, vom Henker erkaufen, aber man gräbt sie nicht aus!«
    Seine Stimme war schärfer geworden, sein Gesicht jedoch nicht lebendiger. Einen einzigen, kurzen Schritt

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