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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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um den beiden Frauen einen unbeobachteten Abschied zu gönnen.
    Eine Weile standen sie schweigend voreinander. Zu viel lag Alaïs auf der Zunge, doch sie konnte nichts von all dem sagen. Sie dachte an den Vater, an die Brüder und an das türkis glitzernde Meer ihrer Bucht.
    »Mutter …«
    Mit einer raschen Bewegung zog Caterina sie zu sich und drückte sie an ihre Brust. »Mögest du unter dem Schutz des himmlischen Vaters stehen«, murmelte sie. »Und möge Sainte Julie dich segnen, jene Märtyrerin, die schon seit Ewigkeiten von unserer Familie verehrt wird.«
    Alaïs gewährte der Mutter, dass sie rasch ein Kreuzzeichen auf ihrer Stirn machte, dann trat sie etwas verlegen zurück. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass Caterina oft gebetet, denHerrn im Himmel oder einen seiner vielen Heiligen angerufen hätte. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, es könnte der Glaube sein, in dem Caterinas Stärke wurzelte. Nun, vielleicht fiel der Mutter bei dem plötzlichen Abschied auch einfach nichts anderes ein, um der Tochter Fürsorge angedeihen zu lassen. Vielleicht hätte sie zu diesem Zwecke nicht nur zum fernen Gott gebetet, sondern gar einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, wenn er nur versprochen hätte, für Aläis' Wohlergehen zu sorgen.

Zweiter Teil
     
     
Wanderschaft
     
Frühjahr 1321

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VIII. Kapitel
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    Immer hatte Alaïs von einem Leben wie diesem geträumt: heute noch an einem Ort zu sein und morgen schon am nächsten, eine Gegend zu sehen und zu wissen, dass man nicht wiederkehren würde, eine Route nie ein zweites Mal zu nehmen. Sie hatte sich ausgemalt, wie es wäre, ständig auf fremde Menschen zu treffen, mit unterschiedlicher Statur und ungewohnter Tracht, und zu hören, wie verschiedene Akzente aufeinanderstießen. Welch eine Befreiung allein die Vorstellung, niemals stillsitzen zu müssen oder lästige Arbeiten zu verrichten, sondern sich den ganzen Tag zu bewegen – mal vor steinigen Küsten oder kargem Bergland, mal vor reifen Feldern, blühenden Wiesen und dick behangenen Olivenbäumen!
    Dennoch währte es lange, bis sie sich in das neue Leben fügen und es genießen konnte. Die Eile der ersten Tage, das stete Trachten zu rennen – es ward nicht von Neugierde bedingt, von der Lust, möglichst viel zu riechen, zu hören, zu sehen, sondern von dem Grauen des Kerkers, der ihr in Freiheit umso fauliger, umso enger, umso finsterer erschien.
    Sie träumte wieder davon, nackt im Wasser zu liegen und sich darin den grässlichen Geruch abzuwaschen – und da sie sich so nicht reinigen konnte, tat sie es auf andere Weise: indem sie nicht gerade ging, sondern häufig um sich selber kreiste und solcherart möglichst viel Widerstand gegen den mal heißen, mal frischen Wind spürte. Erst wenn sie vor Schweiß klebte und ihr Herz ihr bis zum Hals schlug vor Anstrengung, konnte sie frei atmen.
    Wenn sie später an diese Zeit zurückdachte, erinnerte sie sichan nichts als an den Drang, sich stets aufs Neue ihrer Freiheit zu vergewissern. Sie wusste nicht mehr, welche Worte sie damals mit Aurel und Emy gewechselt hatte, ob die Brüder von gleichem Grauen gezeichnet waren wie sie und wie lange es gedauert hatte, bis Aureis Wunden verheilt waren.
    Erst an dem Morgen, als sich herausstellte, dass Caterinas Essensvorräte aufgebraucht waren, tauschte sie mit Emy besorgte Blicke.
    Emy stocherte eine Weile in der erloschenen Feuerstelle, die er am Abend zuvor errichtet hatte, und entschied schließlich: »Wir müssen uns unser Brot wieder verdienen.«
    Aurel hob seine Hand. »Sieh nur!«, meinte er. »Sie zittert nicht mehr.«
    Alaïs war entgangen, dass die Hand überhaupt jemals gezittert hatte und dies offensichtlich der Grund war, warum Aurel in den letzten Tagen keine Kranken behandelt hatte. Sein bläulich gefärbtes, geschwollenes Auge hatte sie das einzige Zeichen seiner Tortur gedeucht – erst jetzt erinnerte sie sich unscharf daran, wie einer von Josses Männern ihm auch schmerzhaft den Arm am Rücken verbogen hatte.
    Hastig sprang Aläis auf. Sämtliche Knochen taten ihr weh vom Liegen auf dem harten, kalten Boden. Wie so oft hatte sie kaum schlafen können, und die Nacht war ihr endlos erschienen. »Ich … ich kann auch meinen Beitrag leisten!«, rief sie. »Ich weiß, wie man Fische fängt, mein Vater hat’s mir gezeigt. Und ich könnte den Bauern bei der Ernte helfen. Ich könnte aus den Weiden kleine Matten flechten und verkaufen. Irgendetwas fällt mir schon ein.«
    Aurel blickte sie

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