Die Gefährtin des Medicus
unglücklich gestürzt, dass sich ein Splitter Holz, groß wie ein Pfeil, durch seine Schultern gebohrt hatte.
Jämmerlich stöhnend lag der Verunglückte da, umgeben von hilflosen Verwandten, die es offenbar für eine gnädige Schicksalsfügung hielten, dass ausgerechnet jetzt ein kundiger Heiler auftauchte. Als Alaïs das Dorf erreichte, hockte Aurel bereits neben dem Mann. Sie war sich sicher, dass er versäumt hatte, vor der Behandlung den zu erwartenden Lohn abzuklären – viel zu fasziniert starrte er auf die Fontäne Blut, die von dem Mann spritzte. Keine noch so würzige Suppe hätte derlei Gier in Aureis Gesicht zaubern können.
Alaïs zuckte zurück. Das Geschrei des Unglückseligen klang so quälend, dass es in ihren Ohren schmerzte, und schon wollte sie davor fliehen. Doch Aurel, der nicht gewahrte, dass sie und nicht sein Bruder zu ihm getreten war, rief ihr einen Befehl zu.
»Schnell, Emy!«, kam es knapp. »Die Baumwollkompressen! Tränk sie mit Wein! Wir müssen die Blutung stoppen.«
Alaïs drehte sich hilflos um, suchte Emy zu erspähen, doch jener war wahrscheinlich immer noch damit beschäftigt, sich in der blumenreichen Wiese zu drehen und zu wiegen. Das Geschrei des Mannes wurde durchdringender, ebenso das Heulen der Frau, mit der er wohl verheiratet war.
»Nun mach schon!«, rief Aurel wieder.
Zuerst erzeugte der rüde Befehl nur Widerwillen – ähnlich jenem, mit dem sie auf die Aufforderungen ihrer Mutter reagierte, ihr beim Kochen zu helfen. Doch als er den Kopf hob, gewahrte, dass nicht Emy, sondern sie vor ihm stand und dessen ungeachtet knurrte: »Oder traust du dich nicht, ihn anzufassen?« – da erwachte ihr Trotz.
»Pah!«, machte sie leichtfertig. »Natürlich traue ich mich!«
Mochte sie zwar seinerzeit den Blick gesenkt haben, als er Louise aufschnitt, so hatte sie später oft genug zugesehen, wie er in den Leichen wühlte.
Hastig zog sie das Gewünschte aus dem Ledersack und träufelte etwas vom Inhalt des Weinschlauchs auf die Baumwolle. Er drückte sie auf jene Stelle, wo das Blut hervorschoss, und hob ungeduldig die Hand, kaum, dass sich die Wolle vollgesogen hatte.
»Siehst du denn nicht, dass ich mehr brauche?«, zischte er.
»Dann gib mir rechtzeitig Bescheid«, gab sie nicht minder unwirsch zurück.
Rasch wiederholte sie ihr Werk, und alsbald waren sie auf den notwendigen Rhythmus eingespielt.
Als der Blutfluss nachließ und aus der spritzenden Fontäne ein zähes Bächlein wurde, untersuchte Aurel den Holzsplitter, der im Fleisch des Mannes steckte. »Er ist fast durchbohrt worden«, erklärte er. »Wenn ich ihn herausziehe, dann könnte sich das Holz einem Widerhaken gleich in sein Fleisch bohren. Ich werde es wie bei einer Pfeilwunde machen. Ich drücke das Holz nach hinten, damit es auf der anderen Seite hinaustritt. Alaïs! Halt seinen Arm, damit er ihn nicht bewegen kann!«
Sie zögerte nur kurz, dann packte sie den Mann mit beidenHänden, um ihn während der Behandlung ruhig zu halten. Alle Kraft musste sie darein legen, denn der Verletzte wollte wild um sich schlagen. Der Blutverlust hatte jedoch das Seinige getan und ihn so sehr geschwächt, dass Alaïs seiner – wenn auch mit Mühen – Herr wurde. Die Anstrengung ließ sie seine schrecklichen Schreie nicht hören, indessen die Umstehenden verängstigt und angewidert zurücktraten. Als der Splitter entfernt war, war ihre Stirn schweißnass. Salzig schmeckte es in ihrem Mund. Sie hatte nicht gemerkt, dass sie unruhig auf ihren Lippen gekaut und diese blutig gebissen hatte.
Obgleich sie sich dabei verausgabt hatte, den Verletzten zu bezähmen, kam kein Wort des Lobes von Aurel.
»Die Nadel!«, befahl er nun barsch.
Alaïs kramte wieder in dem Lederbeutel, wusste nicht recht, wonach sie suchen sollte, und förderte schließlich eine kleine Holzschachtel hervor. Ein samtiges Kissen lag darin und in diesem steckten Nadeln in verschiedenen Größen. »Ich brauche eine der starken, großen, keine von den runden. Jene sind nur für die Stellen des Leibes bestimmt, an die man schwer herankommt: Mund oder Augenhöhlen. Und wir nehmen keinen Seiden –, sondern einen Lederfaden.«
Während er den Faden um die Nadel wickelte – an ihrer Spitze, nicht an ihrem Ende, weil es solcherart leichter sei, die Nadel wieder herauszuziehen –, fügte er weitere Erklärungen hinzu. Dass ein
Cyrurgicus
immer gute Nadeln bei sich haben müsse, am besten aus Stahl, und dass man beginnen müsse, die Wunde dort zu
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