Die Gefährtin des Medicus
Schultern und vertrauten sich ihm nunmehr gerne an, indes das blutende Schwein so lange weiterkreischte, bis es gewahr wurde, dass es an seiner Wunde nicht sterben würde.
Emy pochte zwar darauf, von Patienten nur Geld als Bezahlung zu nehmen, aber nahm meist doch mit einem Abendessen und einem Schlafplatz vorlieb. Häufig aßen sie
Brodium
– jene Suppe, die für gewöhnlich aus dem Fleisch von Rind, Schaf und Schwein gemacht wurde und in die man hier, weil nicht genügend Fleisch da war, Kürbis oder Bohnen schnitt.
Nach den ersten Tagen war Alaïs immer hungrig. Jener Knoten, den sie aus Angst vor dem Ungewissen in ihrem Magen spürte, hatte sich rasch aufgelöst. Manchmal überkam sie ein Anflug von Heimweh: Dann sehnte sie sich nach den Eltern, der heimeligen Stube und dem vertrauten Schlafplatz. Doch meist verwehrte sie sich solche Gedanken, und zurück blieb die Lust auf den neuen Tag, auf neue Menschen, auf neue Dörfer.
Wenn sie am Abend zusammensaßen, redete Aurel viel, anstatt zu essen. Doch nicht Emy war es nun, der Aureis halbvolle Schüssel schließlich zu sich zog und sie leeraß, sondern Alaïs, die irgendwann gar nicht mehr darum bat, sondern das Einverständnis der Brüder, das der eine aus Appetitlosigkeit, der andere aus Pflichtbewusstsein gewährte, voraussetzte.
Mit der Zeit lernte Aläis nicht nur das Land kennen, durch das sie kamen, und die Menschen, die hier lebten oder ihres Weges zogen,sondern auch die Eigenarten des Brüderpaares. Emy blieb zwar jener, der wenig Worte machte, stets hilfreich dem Bruder zur Seite stand und für Unterkunft und Essen sorgte, ohne dafür Dank zu erwarten. Doch manchmal zeigte seine Willfährigkeit Sprünge –so auch an einem besonders heißen Tag, einem Vorboten des drückenden Hochsommers. Das Land schien förmlich zu bersten ob seines knospenden, blühenden und zugleich schnell wieder verdorrenden Lebens. Die Sonne lockte und ließ wachsen –und saugte zugleich begierig aus, was sie eben noch verschwenderisch verschenkt hatte. Aurel achtete nicht auf den betörenden Duft, der in der Luft lag. Wie immer hatte er das nächste Dorf vor Augen und hoffte auf interessante Kranke, die seine Fähigkeiten herausfordern mochten. Alaïs langweilte sich, weil sie an diesem Tag noch keinen fremden Menschen begegnet waren, in deren Gesichter sie aufdringlich starren konnte. Emy hingegen verlangsamte plötzlich seine Schritte, blickte hoch zum Himmel, anstatt starr auf die Erde, und verließ schließlich den steinigen Weg, um in die Wiese hineinzulaufen, die ihm bis zu den Knien reichte. Zunächst streckte er sein Gesicht noch weiter der Sonne entgegen, dann bückte er sich, um seine Hände vom Gras kitzeln zu lassen. Er pflückte die eine oder andere Blume und roch daran –so begierig, wie Alaïs verwirrt feststellte, als wollte er sie sich in die Nase stopfen.
Nach einer Weile war er an die hundert Schritte hinter dem stur weitergehenden Aurel zurückgeblieben. Alaïs befand sich zwischen den beiden, blickte nach vorn und zurück und wusste nicht, wessen Rhythmus sie sich anpassen sollte: jenem Aureis, der von der Lust diktiert war, irgendeinen stinkenden Menschen aufzuschneiden, oder jenem Emys, der in der Wiese diesen sonderbaren Tanz vollführte.
Im Zweifelsfall lag ihr Aureis Trachten mehr, versprach es doch größere Schnelligkeit und kam somit ihrer stetigen Ungeduld zupass.
Dennoch blieb sie stehen und rief Emy zu: »Was treibst du denn?«
»Ich weiß es nicht!«, lachte Emy befreit. »Aber ist’s nicht einfach schön, einmal innezuhalten, die Sonne zu fühlen und das Leben zu genießen?«
Innehalten und Genuss waren nichts, was für Alaïs zusammengehörte. Kopfschüttelnd sah sie zu, wie er weitere Blumen pflückte und obendrein die Beinkleider hochzog, um die nackte Haut in die Sonne zu halten. Schließlich ließ sie ihn stehen und hastete Aurel nach, der mittlerweile so weit entfernt war, dass er kaum größer schien als Alaïs’ Hand. Forsch schritt er auf das Dorf zu, das mit seinem schiefen Kirchturm hinter der nächsten Wegeskreuzung lag.
So kam es, dass sie ohne Emy das Dorf erreichte, wo Aurel diesmal vermocht hatte, auch ohne Werben des Bruders Aufmerksamkeit zu erlangen. Geschrei und Klagen erwarteten sie, umherlaufende Menschen, die sich ihre Hände entweder vors Gesicht schlugen oder sie laut zusammenklatschten, um ihres Entsetzens Herr zu werden. Ein Zimmermann, so kündete es das Geheule, war bei der Arbeit am Dachstuhl so
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