Die Gefährtin des Medicus
Alaïs daran, dass sich stets das gleiche Schauspiel vollzog, wenn sie ein Dorf erreichten: Zunächst war es Misstrauen, das in den Gesichtern der Menschen geschrieben stand; nicht selten wurde Aurel als Quacksalber beschimpft, der ihnen nur das Geld aus der Tasche ziehen und ihr Leiden durch unsinnige Mixturen vergrößern wolle. Doch wenn sie beharrlich blieben und sich nichts von dieser Kränkung anmerken ließen, so bröckelte der Widerstand – und hatte sich erst jemand mit einem fauligen Zahn, einer eiternden Wunde oder einem schief zusammengewachsenen Bruch den Kundigen anvertraut, so folgten andere.
Schwieriger war es dort, wo sie auf Rivalen trafen: andere
Medici,
meist dunkel gekleidet und mit einem scheppernden Harnglas am Gürtel, mit dem sie sich als Vertreter ihrer Zunft auswiesen. Nicht selten geriet Aurel in Streit mit ihnen – so auch mit einem Mann, der ihn einzuschüchtern suchte, indem er sich als Schüler des großen Arnaldus de Villanova vorstellte.
Aurel grinste daraufhin breit. »Ach, Arnaldus de Villanova!«, rief er aus. »Ein wahrhaft großer Mediziner! Und ein gläubiger noch dazu. Was schreibt er in seinem Buch >De maleficiis Dass man das Schlafgemach eines Kranken mit Fischgalle ausräuchern soll? Wisst Ihr überhaupt, welchen Sinn das haben soll?« Er setzte eine kurze Pause, indessen sich das Gesicht des anderen verdunkelte. »Ich vergaß!«, rief Aurel da schon aus. »Es muss ja gar keinen Sinn machen! Schließlich steht im Buch Tobit diese Prozedur beschrieben – und ob diese nun einem Kranken hilft oder nicht, ist dabei völlig gleich. Wer will sich schon die Mühe machen, den menschlichen Körper zu erforschen, wenn es reicht, die Bibel nachzuplappern.«
»Arnaldus de Villanova war der Leibarzt zweier Könige und eines Papstes«, rief der Mann entsetzt, »und Ihr verhöhnt ihn?« ärgerlich hob er die Hand und ballte sie zur Faust, war aber zualt und dürr, um sich auf ein Kräftemessen mit Aurel einzulassen.
Im nächsten Dorf hingegen drohte ein anderer Medicus Aurel unverhohlen eine Tracht Prügel an, nachdem dieser ihn mit einem gewissen Miqueu Aucemant verglichen hatte.
Aurel zupfte an Emys Ärmel. »Wer ist Miqueu Aucemant?«, fragte sie.
»Soviel ich weiß ein Scharlatan«, raunte er ihr zu. »Vor allem alten Männern, die ihre Weiber nicht mehr begatten konnten, hat er Heilung versprochen. Nichts, was er tat, hat je genutzt, und bis heute erzählt man jedem künftigen Medicus, sich zu hüten, dessen Vorbild zu folgen. Denn am Ende musste er für seine Betrügereien eine so hohe Strafe zahlen, dass er für den Rest seines Lebens ruiniert war.«
Sprach’s und eilte, um sich zwischen Aurel und den fremden Medicus zu stellen, bekundend, dass dieser es bei einer Rauferei mit mindestens zwei zu tun bekäme. Alaïs war nicht minder gewillt, das ihrige beizutragen. Im Beißen, Kratzen, Zwicken war sie, die mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen war, schon als Kind gut gewesen. Der Verleumdete wich zu ihrem Bedauern vor dieser Übermacht zurück, nicht ohne bitterböse zu verkünden, dass er beim nächsten Mal besser für den Kampf gerüstet wäre.
Jenes Dorf betraten sie nicht wieder. In einem weiteren musste sich Aurel als Jude beschimpfen lassen, und im übernächsten war einer von diesen selbst zur Stelle, um sein Revier gegen ihn zu schützen. »Die guten provençalischen ärzte sind Juden, und so einer bist du nicht – also hau ab!«
»Die guten provençalischen ärzte sind die, die am meisten von ihrem Handwerk verstehen!«, gab Aurel wenig eingeschüchtert zurück. »Wollen wir einen Wettstreit aufnehmen?«
Der Jude zögerte, aber die Dorfbewohner wurden alsbald von dem Gerücht aus den Häusern gelockt, es stünde eine Prügelei bevor.
Begierig glotzend zogen sie einen Kreis um die Streitenden, doch der Zweikampf wurde auf andere Weise ausgetragen. Aurelschlug vor, dass sie um die Wette eine Wunde vernähen sollten – und da sich kein Mensch fand, der sich für dieses Experiment zur Verfügung stellte, wurde zu diesem Zweck ein armes Schwein herbeigeschafft, dem man die Haut aufritzte, ungeachtet des schrillen Gekreischs, welches das Tier ob dieser Tortur ausstieß.
Kaum war freilich die Voraussetzung geschaffen, auf dass sie ihr Können hätten messen können, errang Aurel den Sieg. »Das Schwein ist unrein! Das fasse ich nicht an!«, erklärte der jüdische Medicus empört und zog von dannen. Die Menschen johlten spöttisch, klopften Aurel auf die
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