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Die Gefährtin des Medicus

Die Gefährtin des Medicus

Titel: Die Gefährtin des Medicus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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sie nun seinen Kopf festhalten, als Aurel ihn rasierte. Emy fragte unterdessen die Umstehenden, ob sie auch mit dergleichen wie Seide handelten – für den späteren Verband könne man nicht mit gröberen Stoffen als diesem arbeiten.
    »Was habt Ihr vor?«, fragte einer daraufhin.
    »Ich muss die Wunde vergrößern«, erklärte Aurel, »um die Splitter herauszuziehen. Zwei Schnitte werde ich machen, kreuz und quer. An den Spitzen der Hautlappen werde ich einen Fadenfestnähen, um sie zurückzuziehen und sie mit dem Messer vom darunter liegenden Knochen zu trennen.«
    Wie zuvor, da es um den Einsatz des Schlafschwamms gegangen war, wurde Protest laut.
    »Ihr könnt doch nicht den Schädel öffnen!«, rief einer.
    »Er wird entweder sterben oder den Verstand verlieren!«, schrie ein anderer.
    Aurel hob den Kopf, blickte in die zweifelnden Gesichter.
    »Es mag euch sonderbar erscheinen«, setzte er an, »doch ist dies eine probate Maßnahme, auf die schon viele Chirurgen zurückgegriffen haben – auch bei anderen Krankheiten. Roger von Salerno hat geraten, den Schädel anzubohren, um die Schwermut eines Geisteskranken entweichen zu lassen. Ich freilich will gar nichts anbohren, vielmehr nur die Haut aufschneiden, um die gebrochenen Knochen wieder einzurichten.« Er wandte sich Alaïs zu, sprach jedoch mit lauter Stimme fort, sodass alle ihn weiterhin hören konnten. »Greif nun tiefer. Du musst seinen Nacken stützen – und deine Hände dürfen nicht zittern.«
    Sie nickte, ihr Mund war wie ausgedörrt vor Aufregung. Der Nacken des Mannes fühlte sich kalt und feucht an. Sie beobachtete, wie Aurel den Schnitt der Kopfhaut vergrößerte. Ein Stöhnen wurde laut, doch es stammte nicht vom Kranken, sondern von den Umstehenden. Manch einer schien sich voll Ekel fortzudrehen, und auch in Alaïs’ Magen grummelte es leicht. Doch das Unbehagen stieg nicht höher, brachte weder ihre Hände zum Zittern noch ihre Kehle zum Würgen.
    Aurel fuhr fort zu sprechen, erklärte nicht nur, was er als Nächstes zu tun gedachte, sondern auch, warum dies angeraten war.
    »Die alte Schule sieht bei Kopfverletzungen vor, dass alles Störende aus der Wunde zu befreien ist, sämtliche Fremdgegenstände wie zersplittertes Holz, auch die gebrochenen Knochen. Andere sagen, man möge dergleichen drinnen lassen, das Wichtigste sei, man greife nicht in die Wunde, weder mit den Fingern noch mit einem Instrument.«
    Er machte eine kurze Pause. »Wie so oft ist der Mittelweg angeraten«, setzte er hinzu. »Ich folge darum dem Vorschlag von Henri de Mondeville. Alles, was leicht herauszulösen ist, soll man herauslösen, sagt jener, auch Knochenteile. Ist es hingegen schwer herauslösen, soll man sich bemühen, nur das unnatürliche Material zu entfernen oder die Knochenteile, die die
Dura Mater
verletzen. So es denn möglich ist, soll man mit seinen Händen arbeiten, jedoch nicht zu tief in die Wunde greifen. Erst wenn es den Fingern nicht gelingt, soll man zu Instrumenten greifen, aber nicht zu scharfen und spitzen.«
    Flink gingen seine Finger ans Werk, während er sprach. Obwohl Alaïs ihren Blick starr darauf gerichtet hatte, hätte sie später nicht mehr beschreiben können, was er genau getan hatte. Seine Miene war konzentriert, aber so gleichmütig, als würde er einen Apfel schälen.
    »Es verläuft alles gut!«, verkündete er schließlich. »Häufig muss man solche Operationen unterbrechen. Wenn der Puls zu schwach wird und die Gesichtsfarbe zu fahl. Eine derartige Pause darf wiederum nicht zu lange dauern. Aber seht ihr – hier ist es gar nicht notwendig. Ich werde den Schnitt über die Kopfhaut sogleich wieder zunähen.«
    Trotz des Misstrauens hatte man ihnen – wie von Emy gefordert – Seide gebracht. Prüfend ließ Aurel seine Finger darüber gleiten, formte schließlich einen Ball daraus. »Ich werde sie nicht um den Kopf wickeln«, erklärte er, »sondern jenen Ball mit einem anderen Stoff auf die Wunde pressen. Das sorgt für mehr Druck. Macht Wein warm, damit wir die Seide darin tränken können! Und auf die Wunde sollten wir gesalzenen Honig träufeln.«
    »Salz haben wir, aber keinen Honig.«
    Aurel kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Dann mach doch lieber ein Wundpflaster!«, befahl er Emy. »Es ist wichtig, damit es möglichen Eiter abzieht. Alaïs soll dir dabei helfen! Es ist nicht nötig, dass sie den Nacken länger stützt.«
    Als sie den Verwundeten losließ, fühlte sie, wie steif ihre Glieder waren, wie ihr

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