Die Gefährtin des Medicus
Gesicht – ein befremdlicher Ausdruck, den Alaïs noch nie bei ihm gesehen hatte. Emy, der mit dem Lederbeutel an ihre Seite zurückgekehrt war, bemerkte ihn ebenso. »Aurel«, sagte er leise, damit die Umstehenden seinen Zweifel nicht hören konnten, »du hast das noch nie getan!«
Aureis gerunzelte Stirne glättete sich rasch wieder.
»Aber ich habe zugeschaut!«, rief er eifrig. »Erinnerst du dich? Ich habe dir erzählt … von jenem Mann, der an einer Geschwulst an der äußeren Hirnhaut gelitten hat. Man hat ihm den Schädel geöffnet und …«
»Dieser Mann ist gestorben.«
»Ja, weil man zu lange gewartet hat. Das Gewebe war schon verfault, der Kranke litt seit Ewigkeiten an erheblichen Kopfschmerzen. Gerade deswegen sollten wir uns beeilen.« Er hob den Blick und fuhr unvermittelt die Umstehenden an: »Was steht ihr rum und starrt mich an? Holt mir ein Holzbrett, das als Trage taugt. Eigentlich sollten wir ihn in ein Haus schaffen, doch das ist zu weit. Bringen wir ihn also zumindest in den Schatten.«
Obwohl das Misstrauen nicht aus den Gesichtern der Männer schwand, gehorchte man ihm.
Als der Verletzte endlich auf dem Holzbrett lag, regte er sich erneut. Seine Augen blieben geschlossen, aber er atmete heftig, erbrach wieder den Schleim und begann schließlich zu stöhnen. Alaïs, die bislang – Aureis Anweisung folgend – versucht hatte, seinen Kopf ruhig zu halten, kam nicht mehr gegen die Bewegungen an. Emy half ihr nun, doch auch gemeinsam vermochten sie nicht, ihn zur Ruhe bringen – zu übermächtig waren Schock und Schmerzen.
»Schnell!«, rief Aurel. »Gebt mir ein Seil, am besten ein gewachstes. Da hinein soll er beißen, auf dass er nicht seine Zunge erwischt.«
»Aurel …«, murmelte Emy wieder zweifelnd. »Er erträgt es doch jetzt schon kaum … Wie willst du ihn behandeln, wenn er doch …«
»Wir müssen Baumwolle in seine Ohren stopfen, damit er keine erschreckenden Geräusche hört, wenn ich die Schädeldecke weiter öffne.«
Emy sagte nichts mehr, aber zuckte die Schultern. Die Umstehenden antworteten mit einem Raunen auf Aureis Ankündigung. Alaïs verstand nicht alles, was sie sagten, nur manche Wortfetzen – und jene verhießen, dass man den Unglücklichen lieber in Frieden sterben lassen sollte, anstatt ihn derart zu martern.
»Aurel, du kannst doch nicht …«, setzte nun auch sie an.
Aurel stampfte ungeduldig auf.
»Dann stellen wir ihn eben mit einem Schlaf schwamm ruhig.«
»Einem was?«, entfuhr es Alaïs.
»Einem
Spongium somniferum
«, sagte er schlicht, als wäre es leichter für sie, das lateinische Wort zu verstehen.
Indessen Aurel bereits in seinem Lederbeutel kramte, raunte Emy ihr zu: »’s ist ein Tolltrank. Erfunden von arabischen Medizinern, zunächst von den Salernern, dann von Theodoric übernommen.«
Einer der Umstehenden hatte nur das Wort Tolltrank vernommen und schritt nun empört auf Aurel zu. »Ein Tolltrank? Was zum Teufel habt Ihr vor? Wollt Ihr ihn vergiften?«
Irgendjemand bekreuzigte sich.
»Opium, Bilsenkraut, Alraunblätter gehören dazu«, begann Aurel aufzuzählen, »der Saft noch nicht reifer Maulbeeren, Thalmkraut und Thalmwurz, desgleichen Schierlingssaft, Eppensaft, Lattichsamen und Kellerhalskörner. Ja, das ist die rechte Mischung. Von allem gilt es ein Loth zu nehmen, es zu zerstoßen und durch ein Tuch zu seihen. Hinein wird ein Schwamm gelegt, bis er vollgesogen ist, und dann in die Sonne gestellt, bis er trocknet.«
Er sprach so schnell, dass man ihn kaum verstehen konnte. Doch die Fülle an Worten schien nicht nur ihm Festigkeit zu geben, sondern auch den zweifelnden Mann zu beschwichtigen.
»Ihr denkt wirklich, dass Ihr ihn retten könnt?«, fragte der.
Aurel zog etwas aus dem Lederbeutel hervor, das Alaïs an einen verschrumpelten Apfel erinnerte. »Man kann solche Schlafschwämme mehrmals gebrauchen«, erklärte Aurel. »Ich habe noch einen … Bringt mir Wasser vom Fluss! Wir müssen es über dem Feuer warm machen! Und ja …«, er wandte sich flüchtig an die Umstehenden. »Ja, ich denke, ich kann ihn retten.«
Nachdem der Schlafschwamm in warmes Wasser gelegt und ausgewrungen worden war, presste Aurel ihn an den Mund und die Nase des Patienten. Ob er wirklich seine Wirkung tat oder der Mann von Schmerzen und Erschöpfung in Ohnmacht getrieben wurde, vermochte Alaïs nicht mit Sicherheit zu sagen – in jedem Fall wurde sein Atem schwächer, und schließlich rührte er sich nicht mehr.
Mühelos konnte
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