Die Gefährtin des Medicus
den unerhörten Luxus, nicht gehen zu müssen, sondern auch die Vorstellung, welch edles Heim sie wohl erwarten würde. Wenn selbst Giacintos Reisezelt mit Fellen und Teppichen ausgelegt war, stand dann nicht zu erwarten, dass er in einem großen Haus aus Stein wohnte, das nicht minder teuer eingerichtet war? Und wenn er sich auch auf Reisen nur an feinsten Köstlichkeiten labte, wie würde sich seine Tafel dann erst in Avignon unter all den Delikatessen neigen?
Wortreich malte sie sich die Zukunft aus, doch Emy nickte nur dann und wann und sagte nichts dazu.
»Bist du nicht froh, dass wir ihn getroffen haben?«, fragte Alaïs schließlich ungeduldig. »Was machst du ein so sauertöpfisches Gesicht?«
Emy starrte auf seine Füße, schmal wie die Hände und dick verhornt vom vielen Laufen. »Wir haben deiner Mutter versprochen, in der Provence zu bleiben.«
»Nun und?«, rief sie aus, gereizt, dass er noch immer über den Wortbruch grübelte. »Du hast Giacinto doch gehört. Ehe wir in jene Stadt Florenz aufbrechen, bleiben wir eine Weile in Avignon. Lass uns doch einen Schritt nach dem anderen machen, und …«
Sie brach ab, denn der Wagen hielt so abrupt an, dass sie gegen die Holzplanke flog. »Was zum …«, entfuhr es ihr. Sie rappelte sich auf, wollte nach vorne blicken. Auch die anderen Gefährte standen still, desgleichen die Reiter, die den Zug bewachten. Stimmengewirr wurde laut – und dann das Blöken einer riesigen Schafsherde.
Manchmal hatten sie dergleichen Vieh gesehen, wie es auf den Wiesen weidete, doch dieses hier schien für den nächsten Viehmarkt bestimmt und darum aneinandergebunden. Einige der Tiere mussten auf dem Weg dorthin in Panik geraten sein, denn indessen sich das verzweifelte Mähen verstärkte, suchten manche aus der Menge auszubrechen, verhedderten sich an den Stricken und vollführten wirre Bocksprünge. Auf dem verstellten Weg gab es kein Fortkommen mehr, auch wenn mehrere Viehhändler gleichzeitig versuchten, den Tieren Herr zu werden, und mit Stöcken auf sie einschlugen oder kläffende Hunde auf sie hetzten.
Aläis lehnte sich wieder zurück. »Dummes Getier«, murmelte sie, um sogleich fortzufahren: »Was denkst du, welches Geschirr Giacinto besitzt? Solches aus Silber, wie die Gabel, die er hier nutzt, oder gar aus Gold? Und was denkst du …«
»Sieh doch!«
Anders als sie hatte Emy weiterhin neugierig nach vorne gespäht. »Sieh doch!«, wiederholte er. »All diese Männer!«
Alaïs richtete sich wieder auf, erkannte nun, dass nicht nur Giacintos Kaufmannszug mit den Schafen zusammengestoßen war, sondern vor ihnen bereits eine andere Reisegruppe, die noch umfangreicher war als die des Florentiners. Als sie aus dem Wagen sprang und sich nach vorne drängte, sah sie eine Horde bewaffneter Ritter, die noch auffälliger gekleidet waren als die Männer, die Giacintos Reichtümer bewachten. Sie trugen Wappenhemden über dem Kettenwams, silberne Sporen und Helme; über Letztere konnten sie jederzeit das Visier klappen, das sie nun auf die Stirn hochgeschoben hatten. Zur rechten Seite war an ihrem Gürtel ein kleiner Dolch angebracht, zur linken ein Schwert.
Auch unbewaffnete Männer gewahrte sie, mit wattierten Jacken aus besticktem Samt und glänzenden Hüftgürteln bekleidete, und auch solche, die in schlichtes Schwarz gehüllt waren.
Ihre aufgeregten Stimmen übertönten das Blöken der Schafe und gerieten nicht minder durcheinander. Indessen der eine die Hände gen Himmel rang, andere verwirrt den Kopf schüttelten und wieder andere nervös kicherten, konnte Alaïs kein Wort verstehen, nur, dass sie die Langue d'Oc sprachen, den okzita – nischen Dialekt. In den Ohren manch eines einfachen Provençalen mochte jene Sprache fremd klingen, doch für Alaïs war es die Sprache ihrer Eltern. »Was ist passiert?«
Sie hatte Aurel erblickt, der ebenso wie sie das Gefährt verlassen hatte. An seiner Seite stand Giacinto. Eben schien der Florentiner Kaufmann in der aufgewühlten Menge ein vertrautes Gesicht entdeckt zu haben. Er trat zu einem der schwarz gekleideten Männer, der anders als die übrigen wie erstarrt stand. Alaïs nahm wahr, dass er groß war – er überragte den Kaufmann mit Leichtigkeit – und sehr hager.
»Was ist passiert?«, fragte sie wieder.
Aurel zuckte die Schultern. »Die Tiere«, er deutete auf die Schafe, deren Gestank sich wie eine dichte Wolke um sie ausbreitete, »die Tiere sollten auf den Markt gebracht werden. Nach Carpentras.«
Nun, so
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