Die Gefährtin des Medicus
eine Sache, die nur Päpste und Könige betrifft.«
»Und fromme Christen!«, warf Caterina missmutig ein. »Aber zu jenen zählst du dich ja nicht.«
»Wie auch immer«, sprach Ray ungerührt fort. »König Philippe schickte jenen Guillaume zum Papst, damit er ihm ausrichte, dass der König den Papst nicht anerkenne, sondern für einen Ketzer halte.«
»Und dann gab er ihm eine Ohrfeige?«, hatte die kleine Alaïs gefragt. Ohne Zweifel war das für sie das interessanteste Detail der Geschichte.
»Genauso war's!«, meinte Ray und kicherte. »Und der Papst war darüber so erschüttert, dass er am nächsten Tag gestorben ist.«
Caterina schüttelte den Kopf. »Hör auf, dem Kind solch schändliche Geschichten zu erzählen!«
»Aber wenn es doch die Wahrheit ist! Der Nachfolger von Bonifaz, Coelestin, residierte dann im Königreich von Neapel. Er war ein uralter Mann. Mittlerweile ist auch er gestorben, aber wenn ich mich recht besinne, nicht an einer Ohrfeige.«
Alaïs lachte. »An einer Ohrfeige stirbt man doch nicht.«
»Papst Bonifaz schon. Coelestin hingegen hatte solche Angst vor einer Ohrfeige, dass er schließlich als Papst zurückgetreten ist. Und die Päpste nach ihm haben sich ganz genau überlegt, wo sie residieren könnten, ohne sich Ohrfeigen einzufangen. Und da ist ihnen eingefallen, dass sie jenseits der Alpen eine Grafschaft mit dem Namen Venaissin besaßen. Weißt du«, und mit diesen Worten wandte er sich wieder an ihre Mutter, »weißt du auch warum?«
»Warum sollte ich?«, schnaubte Caterina.
»Nun, weil das Venaissin zuvor Raimon gehörte, und damit bin nicht ich gemeint, nein, sondern der siebte Graf von Toulouse. Und warum übergab dieser wohl dem Papst das Gebiet? Natürlich! Um sich mit ihm gut zu stellen, weil er doch eigentlich ein Ketzer war. So wie dein Vater, Caterina, sich mit der Kirche gut stellte, indem er den frommen Katholiken mimte und seine Vergangenheit als Katharer verschleierte.«
Alaïs hatte damals nicht verstanden, was ihr Vater meinte und warum er auf diesem Umstand schmunzelnd herumhackte. Auch jetzt hatte sie keine Lust, tiefer in der Geschichte der eigenen Familie zu wühlen. Es genügte, von der Geschichte Avignons als Stadt des Papstes zu wissen – und darum Navales Worte deuten zu können, als er deren Bedeutung hervorhob.
»Seit der Papst dort residiert, sind viele Leute zugezogen. Fast ums Doppelte ist die Stadtbevölkerung gewachsen. Es gibt kaum Platz mehr innerhalb der Mauern, und doch ziehen immer mehr dorthin. Wer als Kaufmann etwas auf sich hält, hat eine Filiale in Avignon.«
Kurz ließ er den Beutel los, um sich auf die Brust zu schlagen – bekundend, dass er einer der Ersten gewesen war, der solch einen klugen Einfall gehabt hatte. »Das Klima des Rhônetals ist günstig. Nun gut, manchmal weht der Mistral schneidend kalt, aber die Felder gedeihen. Die Bauern sind arbeitsam, nicht etwa aufrührerisch wie das Pack rund um Marseille. Und seien wir ehrlich: Avignon liegt doch viel zentraler als das ferne Rom. So viele Völker des Nordens haben sich zum Christentum bekehrt. Will man zu ihnen einen Bischof schicken, so währt die Reise kürzer, nimmt sie von Avignon aus ihren Anfang.«
Aurel saß versunken auf dem Wagen. Die Gedanken, die er sich machte, drehten sich wohl nicht um die Residenz des Papstes. Emy hingegen hob kurz den Kopf. »Aber gehört ein Papst nicht nach Rom?«, fragte er, ähnlich wie Caterina einst Ray gefragt hatte.
»Ach was!«, stieß Giacinto hervor. »Rom ist doch dort, wo der Papst ist. Und irgendwann ist Avignon vielleicht noch größer und mächtiger als die Ewige Stadt.«
Er lachte schrill, fasziniert von dieser Größe und Macht. Alaïskonnte ihn verstehen. Wo der Papst residierte, war ihr gleich, doch auf eine Stadt, die aus allen Nähten platzte, wo reiche Menschen lebten, die nicht minder edle Speisen auftischten als Giacinto und in deren engen Gassen es stetig Neues zu entdecken gab, war sie neugierig geworden.
Die weichen Wiesenhügel der Provence wurden vor Avignon nackter. Das Land warf steinerne Wellen, deren Spitzen von grauem Basalt oder Gestrüpp gekrönt waren. Umso karger wirkte es, da die Sonne hinter einem graubefleckten Himmel verkrochen blieb.
»In welchem Haus lebt Navale wohl in Avignon?«, fragte Alaïs Emy an jenem Morgen, da sie in der Stadt eintreffen würden.
Wie die letzten Tage hockten sie auf einem der Wägen, in dem ansonsten Waren transportiert wurden, und sie genoss nicht nur
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