Die Gefährtin des Medicus
viel hatten sie selbst schon erahnt.
Die Viehhändler hatten unterdessen mit ihren rüden Schlägen und Rufen vermocht, die meisten Schafe zusammenzutreiben. Ein Durchkommen gab es dennoch nicht, denn eine der Kutschen der vorausgehenden Reisegruppe war von den Schafen nicht nur aufgehalten, sondern vom Weg abgedrängt worden. Anders als jener Lastenwagen von Giacintos Kaufmannszug war sie nicht über die Böschung gerutscht, doch ein Rad hing darüber, und das andere, nunmehr das ganze Gewicht der Achse tragend, war geborsten.
Auf einmal verstummten die Ritter und Knappen, die edlen Männer und Priester und beugten sich damit dem hageren Dunklen, der nun befehlend die Hand hob und etwas zu Giacinto Navale sagte. Zu undeutlich klangen zunächst die Worte, sodass Alaïs ihren Sinn nicht verstand. Doch als Giacinto den Namen des Palastes von Châteauneuf – Calcernier erwähnte, schüttelte der Dunkle den Kopf und bekundete diesmal klar und deutlich, dass sie nicht von dort gekommen seien, sondern vom neu erworbenen Château de Monteux, nahe Carpentras.
Aurel trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und spitzte erst die Ohren, als weitere Wortfetzen zu ihnen drangen.
»Am Arm verletzt … nein, nicht ausgerenkt … eine blutende Wunde …«
Aurel stürzte beinahe zu den beiden hin.
»Warte!«, rief Emy ihm noch verlegen nach, doch da war es schon zu spät.
»Braucht Ihr meine Hilfe?«, fragte Aurel.
Der dunkel gekleidete Mann drehte sich unglaublich langsam zu ihm um. Nun sah Alaïs, dass seine Lider das halbe Auge bedeckten – als wären ihm die Menschen zu wenig wert, um sich die Anstrengung abzuringen, sie mit unverstelltem Blick zu mustern.
Er sah Aurel flüchtig an, dann hatte er sich schon wieder abgewandt. Giacinto hingegen trat hastig auf Aurel zu, nahm ihn beiseite und raunte ihm einen Namen ins Ohr. Der schien Aurel wenig zu bekümmern, ungeduldig rang er mit den Armen. Doch Giacintos beschwörender Blick brachte ihn zumindest dazu, kein zweites Mal seine Hilfe anzutragen.
»Wo ist der Leibarzt?«, wandte sich der florentinische Kaufmann wieder an den dunkel gekleideten Mann.
Dieser hob leicht die Schultern – das einzige sichtbare Zugeständnis, dass sie sich in einer Notlage befanden. »Guillelmo da Brescia weilt in Paris«, hörte Alaïs ihn sagen. »Und Gaufridus Isnardi ist in Avignon geblieben. Der
Apothecarius
versucht ihm zu helfen, aber …«
Er brach ab und hob ein zweites Mal die Schultern, was für die Umstehenden offenbar ein Zeichen war, wieder aufgeregtdurcheinanderzurufen. Alaïs, bislang vor allem von der Rüstung der Ritter fasziniert, sah nun in die Gesichter der Priester. Ganz junge, rotwangige waren dabei, deren Statur denen der Knappen glich, desgleichen ältere, faltige, die sich freilich nicht würdevoller benahmen, sondern tuschelten, die Hände über den Kopf zusammenschlugen oder mit den Füßen scharrten.
Der Einzige, der still stand und die Lippen aufeinanderrieb, war der Hagere. Doch auch dessen Miene wurde immer gequälter, unsicherer.
Dann plötzlich verstummten sie alle. Vom beschädigten Wagen ertönte ungeduldiges Gebrüll. Es war eine heisere, gleichwohl durchdringende Stimme, von Schmerzenslauten dunkler gefärbt, als sie wahrscheinlich ansonsten klang. Einige der Knappen ließen sich vor Schreck zu Boden fallen, als könnten sie sich solcherart verstecken.
Auf dem Gesicht des Hageren erschienen rote Flecken.
»Soll ich nicht doch …?«, setzte Aurel an, und in seine braunen Augen trat jener Schimmer, der die Nähe eines Leidenden oder Verwundeten erahnen ließ.
Erneut drehte sich ihm der Dunkle zu. Seine Lider hingen immer noch schwer über den Augäpfeln, aber diesmal blieb sein Blick länger an Aurel haften. »Ich kann Euch doch nicht zu ihm lassen«, murrte er. »Einer wie Ihr kommt doch nicht in … seine Nähe.«
»Und wer seid Ihr, das zu bestimmen?«
Einer der Priester, zugleich der dicklichste und verschwitzteste, kicherte auf, ehe er sich die Hand mit einem klatschenden Geräusch vor den vorlauten Mund schlug.
»Still«, rief Giacinto rasch dazwischen, und als er einen weiteren Namen in Aureis Ohr flüsterte, stand Alaïs nahe genug, um ihn zu verstehen. »Ihr redet mit Gasbert de Laval.«
Aurel zuckte die Schultern.
»Er ist der päpstliche Kämmerer«, fügte Giacinto hinzu.
»Hört auf!«, erklang da plötzlich wieder die wütende Stimme aus dem Wagen, diesmal nörgelnd. »Ihr fügt mir ja noch schlimmere Verletzungen zu als
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