Die Gefährtin des Medicus
Unsinn!«, zischte er. »Das weiß selbst einer wie ich, dass man Wunden dieser Art nicht so behandelt. Reinigendes Blut! Pah! Zum Eitern muss sie gebracht werden, damit alles Giftige aus ihr entweicht.«
Aurel schüttelte den Kopf. »Ein Irrtum ist das, ein schlimmer Irrtum: Eiter fördert die Heilung nicht, sondern behindert sie und muss darum unbedingt vermieden werden.«
»Ich wusste, dass Ihr ein Quacksalber seid, schon auf den ersten Blick! Die Wunde muss tatsächlich vergrößert werden, aber nicht, um sie zum Bluten zu bringen, sondern um sie mit Eiweiß zu füllen. Danach kann man sie mit etwas Gänsefett einreiben.«
»Was eine denkbar schlechte Entscheidung wäre«, erwiderte Aurel grimmig, »denn das Tierfett würde die Form der Wunde verändern. Auch Puder ist nicht angeraten, denn das verursacht trockene Krusten und darunter kann sich Eiter bilden – und nein, ich sage es noch einmal: Eiter muss in jedem Fall vermieden, anstatt mit Absicht verursacht werden. Nachdem die Wunde ausgeblutet ist, muss man sie sofort schließen, sagt Henri de Mondeville, mit nicht zu festen Nähten und dünnen Fäden, und nicht mit gewachsten im übrigen. Anschließend legt man Weinkompressen auf, um die Wunde von der Luft fern – und sie zugleichwarmzuhalten. Und da Ihr schon von Eiweiß sprecht – nun, falls die Wunde nicht zu bluten aufhört, so kann man Eiweiß mit zwei Teilen Weihrauch, einem Teil Aloe und fein gehacktem Hasenfell mischen und so lange rühren, bis es die Konsistenz von Honig hat. Aber erst, nachdem die Wundränder genäht wurden, darf ein Verband gemacht werden, ganz sicher nicht zuvor!«
Er hatte so schnell gesprochen, dass der
Apothecarius
ihn nicht unterbrechen konnte. Auch nachdem er geendigt hatte, fiel jenem nichts dagegen zu sagen ein. »Ein
Cyrurgicus
!«, wiederholte er stattdessen nur, als wäre mit dieser Beleidigung alles gesagt. »Ein
Cyrurgicus
!«
Seine Stimme kippte vor Aufregung. Viel ruhiger hingegen sprach der päpstliche Kämmerer Gasbert de Laval, wenngleich seine Meinung ähnlich ausfiel. »Ihr solltet diesem Fremden nicht vertrauen«, raunte er dem Papst zu. »Wir wissen nichts über ihn.«
Verdrießlich glitt der Blick von Johannes XXII. über Aurel, geriet bei den Flecken auf seiner Tunika ins Stutzen. Doch der Ekel, der sich auf seiner Miene ausbreitete, verdunkelte nicht seine Urteilskraft. »Wir wissen, dass Giacinto Navale ihn kennt und offenbar nicht für einen Quacksalber hält. Und wir wissen, dass man Giacinto Navale für gewöhnlich trauen kann.«
»Aber Navale ist ein Händler, kein Medicus!«, rief der Apothecarius. »Was weiß er über die rechte Behandlung einer Wunde?«
»Iaquetus Melioris!«, brüllte der Papst mit einem Mal, so durchdringend und unerwartet, dass nicht nur Alaïs zusammenzuckte. »Kein weiteres Wort mehr, es sei denn, ich bitte darum!«
Der ganze Hofstaat senkte den Kopf, die eben noch kichernden Pagen so tief, dass ihnen die Haare schützend ins Gesicht fielen. Der Kämmerer begann unruhig auf den Lippen zu kauen, nur Giacinto lächelte spröde.
Offenbar waren Wutausbrüche dieser Art allen bekannt – und gerade deswegen gefürchtet.
Die Augen des Papstes richteten sich wieder auf Aurel. Trotz seiner Erregung war sein Gesicht bleich geblieben und der Blickstarr. Jetzt erst sah Alaïs, wie ein dünnes Rinnsal Blut von seinem Arm troff.
»Woher nehmt Ihr die Sicherheit, zu wissen, was zu tun ist?«, fragte er nunmehr wieder leise und gedehnt.
»Ich habe in Montpellier studiert«, antwortete Aurel hastig, »und danach habe ich lange Zeit Erfahrungen gesammelt. Ich habe alle wichtigen medizinischen Schriften gelesen. Ich bin kein Stümper und kein Quacksalber, ich bin einer der besten meiner Zunft.«
Die Mundwinkel des Papstes zuckten – es war nicht gewiss, ob vor neuerlichem ärger oder weil er schmunzelte. »Hoffart ist eine Sünde.«
»Mit Verlaub«, sprach Aurel. »Eben noch wurde als einer Eurer Leibärzte, der bedauerlicherweise nicht zugegen ist, Guillelmo da Brescia genannt. Glaubt mir, er würde ähnliches raten wie ich. Ich weiß, was in seinen Werken geschrieben steht, mit denen er bewiesen hat, welch kundiger
Cyrurgicus
er ist. Er war ein Schüler des Taddeo von Bologna, und jener hat von Ugo de Borgog – noni gelernt, dass frische Verletzungen zu reinigen und hinterher mit einem in Wein getränkten Verband zu schützen sind. Borgog – noni wiederum hat die Chirurgie des großen Roger mit dem Wissen der Luccheser
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