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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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mächtiger Mann, Melle, dessen Leben bedroht wird.«
    »Von einem anderen mächtigen Mann.«
    Und mit dieser schlichten Feststellung wurde Laure plötzlich eine ganze Menge klar. So weit hatte sie noch nicht gedacht. Bisher hatte sie immer vermutet, dass er einfach dem Reliquienschwindel auf die Spur kommen wollte. Dass sein eigenes Leben bedroht war, hatte sie überhaupt nicht in Betracht gezogen.
    »So wird es sein, Melle. Aber auch mit mir spricht er nicht darüber. Doch wenn dem so ist, dann tut er gut daran, gerade dich nicht mit in diese Angelegenheit hineinzuziehen.«
    Melle reichte ihr eine Weile lang schweigend Steckzwiebeln an. Schließlich sagte sie: »Wisst Ihr, wie meine Mutter zu Tode kam?«
    Das Mädchen hatte ein Recht, auch das zu erfahren. Es war zwar schrecklich, aber es würde ihr helfen, ihren Vater besser zu verstehen. Hatte sie selbst nicht erst vor Kurzem darüber nachgedacht, dass man auch ihr bittere Wahrheiten nicht vorenthalten hatte?
    »Sie wurde von zwei Zuhältern ermordet, weil sie etwas wusste, das sie deinem Vater nicht weitersagen durfte. Es hatte vermutlich etwas mit der Flucht des Papstes zu tun.«
    »Allmächtiger.«
    »Ja, Melle. Und dass sie trotz allem an dein Wohlergehen gedacht hat, sollte dir zeigen, dass sie sich immer um dich sorgte und dich liebgehabt hat.«
    Melle sah sie stumm an, dann ließ sie den Korb fallen und setzte sich auf den Boden. Sie schlug die Hände vor das Gesicht. Laure kniete sich neben sie und zog sie an sich. Wenn das Mädchen je um seine Mutter geweint hatte, dann heimlich. Jetzt aber ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sacht streichelte Laure die zuckenden Schultern.
    Dunst zog am Nachmittag vom Rhein her auf, und als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, verdichtete er sich zu einer Wolkendecke, aus der ein leichter Nieselregen fiel. Die Nacht versprach herbstlich kühl zu werden, und Laure brachte Stephan eine weitere Decke. Heiser dankte er ihr.
    »Ist Jurg schon zurück?«
    »Nein, keiner der Vaganten ist bisher zurückgekommen. Wollt Ihr lieber in der Gastkammer schlafen, Herr Stephan? Wir haben derzeit nur wenige Gäste.«
    »Nein, lasst nur. Mein Husten würde sie stören.«
    Sie nickte und schickte eine Magd mit heißem Würzwein zu ihm. Die Gaststube war auch nicht sehr voll, es sah aus, als würden sie alle recht früh in die Federn kriechen können. Das war Laure sehr recht.
    Ihr Kämmerchen war zwar winzig, aber als sie ihr Büchlein herausholte, fiel ihr erstmals seit langer Zeit nicht so recht ein, was sie zeichnen sollte. In der Wirtsstube waren nur bekannte Gesichter gewesen, Stammgäste, deren Gepflogenheiten sie kannte. Auch die anderen Bewohner des Gasthauses waren ihr nun vertraut. Piet und die Vaganten waren erst nach dem Abendessen eingetroffen. Sie schlug das Büchlein unverrichteter Dinge zu und blies das Licht aus. Etwas länger zu schlafe, würde ein ungewöhn­licher Genuss sein.
    Ein unterdrückter Schrei weckte sie.
    Es war vollkommen finster, und sie tastete sich aus den Decken. Hatte Hemma gerufen? Ging es ihr schlechter?
    Sie fand ihre Pantinen, tappte zur Tür und schob sie auf. Durch das Fenster fiel nur wenig Licht, sie meinte aber einen dunklen Schemen davor zu erkennen.
    Da legte sich eine Hand über ihren Mund.
    Der andere Arm drückte sie an einen harten Körper.
    Für einen Moment war sie wie gelähmt, dann stampfte sie wild mit dem Fuß auf.
    Ein Schmerzenslaut entfuhr ihrem Angreifer, doch sein Griff lockerte sich nicht.
    Sie trat noch einmal blind mit der Holzpantine zu. Diesmal traf sie zwar nicht, aber es krachte laut auf den Bohlen. Eine andere Gestalt bewegte sich im Raum.
    »Mama?«
    Oh Gott, die Kinder waren aufgewacht!
    »Verdammt! Weg hier!«, zischte eine Stimme.
    Laure wurde brutal zu Boden gestoßen. Sie schrie laut auf, als ihr Kopf auf die Bettkante traf. Ihr schwanden für einen Augenblick die Sinne.
    Melle hatte nicht einschlafen können, und Matti, dem das ruhelose Drehen und Wenden nicht gefallen hatte, war schließlich mit einem unwilligen Tatzer aufgestanden und hatte an der Tür gemaunzt. Also war sie auch aufgestanden, hatte sich die Decke um die Schultern gewickelt und war leise aus der Scheune gesch­lichen. Der Nieselregen hatte nachgelassen, die Wolken waren hier und da aufgerissen, und eine Mondsichel spendete ein wenig blasse Helligkeit. Genug, um Mattis Augen gespenstisch schimmern zu lassen.
    Trauer und Hoffnung waren es, die Melle nicht hatten schlafen lassen. Und auch jetzt

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