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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Schleier fielen zwischen den Bögen hinab und verhüllten die Gestalt, die auf einem Lager, bedeckt mit Goldbrokat, lag.
    Doch bevor sich seine Augen an die Überfülle von Licht und Glitzern gewöhnt hatten, erklang leiser, schmelzender Gesang aus Frauenkehlen. Sie kamen aus dem Dunkel des hinteren Teils der Katakomben. Eine jede trug eine Lampe vor sich, ihre weißen Seidenroben raschelten, doch trugen sie alle sechs weiße, goldbestickte Schleier über ihrem Haupt. Ihre Gesichter waren nicht zu erkennen, und doch spürte Hagan ihre Blicke abschätzend auf sich ruhen. Noch nie war er sich so nackt vorgekommen. Ihm liefen kalte Schauer über den Rücken. Das waren keine frommen, keuschen Damen. Heiliger Pankratius, wo war er hier hingeraten?
    Die Frauen stellten sich in zwei Reihen neben dem goldenen Lager auf, hinter sich spürte er die vier schwarzen Wächter.
    Und dann hub Tilmanus mit seinem Salbader wieder an, das noch nicht einmal als Küchenlatein durchgehen konnte. Immerhin kannten die Damen sein Gesumse und stimmten immer mal wieder in die Litanei mit ein. Das Geraune hallte bezwingend in den Gewölben wider, und der Weihrauch, der in einem weiten Becken verbrannte, begann Hagan Übelkeit zu verursachen. Irgendetwas war in dem Zeug drin, das da nicht hineingehörte. Aber giftig konnte es wohl nicht sein, denn alle anderen atmeten es ebenfalls ein. Er bemühte sich, bei Besinnung zu bleiben, und versuchte, sich so viel wie möglich einzuprägen. Vor allem die Gestalt auf dem Lager musste er näher in Augenschein nehmen. Er blinzelte, weil der Rauch seine Augen trübte und tränen ließ. Auch das war sicher gewollt und ein Grund, warum die Damen und ihre Wächter das Gesicht verhüllt trugen.
    Es musste eine Mumie sein. Er hatte schon einmal eine gesehen. Ein mensch­licher Körper, eingewickelt in bräun­liche Leinenstreifen. Doch diese hier war geschmückt mit Rosen, und wenn ihn nicht alles täuschte, war ihr Haupt mit einer Dornenkrone umwunden.
    Jesus Christus, erbarme dich!
    Die Floskel flog ihn an.
    Das also war das Geheimnis der verschleierten Damen.
    Doch bevor er seine sich überschlagenden Gedanken in Reih und Glied bringen konnte, verstummte das Psal­modieren, und aus dem Hintergrund rauschte eine weitere Frau in den Raum. Der Rauch wirbelte auf, die Kerzen flackerten.
    In scharlachroten Samt war sie gewandet, schwarz wallten ihre Haare unter einem goldenen Schleier hervor. In der Hand hielt sie einen geschmückten Stab, ähnlich dem, den ein Bischof trug, doch endete er nicht in einer gebogenen Krümme, sondern beinahe – nein, nicht beinahe, sondern ganz exakt – in einer sichelförmigen Klinge. Gebieterisch stellte sie sich vor das Lager der Mumie.
    Sie ist fett – das war Hagans erster Eindruck. Und der zweite war: Sie ist böse!
    Ihr Blick war kalt, und er erschauderte unter ihm.
    »Beichte!«, befahl sie mit tiefer Stimme.
    Er musste sich nicht sonderlich verstellen, seine Worte kamen stockend und rau über seine Lippen, als er seine erfundene Geschichte hervorstammelte. Sie, die man ­Ma­­ter Dolorosa nannte, verlangte, dass er ihr dabei in die Augen sah. Die scharfe Spitze ihres Stabes unter seinem Kinn unterstrich diese Forderung. Und je weiter er von der Schuld sprach, die er auf sich geladen hatte, als er seinen guten Freund und Handelspartner in die kalten Fluten des Nordmeers stieß, desto härter wurde ihr Blick.
    Er hatte einen Fehler gemacht.
    Eben wurde ihm klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Die Hure hatte die Mär geglaubt, der Priester hatte es auch getan – aber diese Frau hier hatte eben diese Geschichte schon einmal gehört. Misstrauen lag in ihrer Miene.
    Hagan brach der Schweiß aus. Er versuchte, der Erzählung noch eine andere Wendung, seiner Schuld noch eine weitere Deutung hinzuzufügen. Sein Gestammel wurde echter, seine Pein sichtbarer. Seine Hände waren nass vor Schweiß, er rang in der weihrauchgesättigten Luft nach Atem.
    Vielleicht war das seine Rettung.
    Das Misstrauen schien zu schwinden, die Spitze des Stabes sank allmählich. Sie entließ ihn aus ihrem bannenden Blick.
    Das folgende Gemurmel und die Gesänge nahm er kaum noch wahr, und als er an das Lager geführt wurde, um die Mumie zu berühren, erfüllte ihn eine derartige Erleichterung, dass er fast an die Gnade der Erlösung zu glauben geneigt war.
    Wieder wurde von ihm das Versprechen des Schweigens verlangt, das er nun wieder mit kräftigen Worten nachsprach. Dann verließen die

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