Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
sollte nach Rom pilgern.«
    »Ja, mein Sohn, das wäre sicher eine gute Tat. Aber eine Pilgerreise ist auch für einen Mann Euren Standes eine schwierige und langwierige Angelegenheit.«
    »Sicher, doch …«, wieder entrang sich Hagan ein tiefer Seufzer.
    »Der Herr aber hat es gefügt, dass Ihr in die Stadt der Heiligen am Rhein gekommen seid, um Fürsprache zu suchen. Euch ist diese Richtung gewiesen worden, und in Demut und tiefer Reue wird Euer Gebet erhört werden. Ich werde Euch einen Weg zur Buße zeigen, zur Umkehr in die Obhut des Allmächtigen, von dem Ihr Euch durch Eure Sünde entfernt habt. Doch Ihr müsst geloben, mir bedingungslos zu folgen und das Gelübde des Schweigens abzulegen.«
    »Ein Schweigegelübde? Aber ich muss doch …«
    »Nicht für immer, mein Sohn, und nur über die Dinge des Glaubens.«
    »Oh. Ja, natürlich.«
    »Dann wollen wir gemeinsam zur Kirche gehen, und dort werdet Ihr vor dem Altar Euren Schwur tun.«
    Mit gut verhohlener Neugier folgte Hagan dem Priester. Er war erstaunt, wie schnell er ans Ziel gekommen war. In der nächtlich dunklen Kirche brannte nur über dem Altar das ewige Licht, und ihre Schritte hallten durch das kühle Gewölbe. Der Duft von Weihrauch lag schwer zwischen den Pfeilern, und blasses Licht aus den hohen Fenstern formte finstere Schatten unter Bogen und Nischen. Vor dem Altar hieß der Priester Hagan mit einer Handbewegung niederknien. Das Kreuz mit dem blutenden Leib Jesu ragte hoch über ihm auf, der flackernde Schein des Lämpchens erzeugte einen fast lebendigen Eindruck des Gekreuzigten.
    Mit einem monotonen Salbader, der nicht eben von profunder Kenntnis des liturgischen Lateins zeugte, vollzog der Priester einige pompöse Handlungen an dem Altar und ließ ihn dann sein Schweigegelübde ablegen. Hagan hatte zwar selbst kein theologisches Studium absolviert, aber während seiner Zeit als Domherr und Weihbischof immerhin so viel über die Liturgie gelernt, dass er wusste, dass hier gegen alle mög­lichen Regeln verstoßen wurde. Aber die Feinheiten der Rituale wurden dem Volk ohnehin nicht offenbart, und so konnte er sich als schlichter Trostsuchender ausgeben und sich heimlich über die Unfähigkeit eines Mannes ärgern, der sich als Seelenhirte aufspielte. Solche Idioten trieben alle die, die mit gesundem Menschenverstand gesegnet waren, tatsächlich in die Ketzerei.
    Endlich durfte er sich von den Knien erheben und wurde aufgefordert, sich am kommenden Abend nach der Komplet wieder im Pfarrhaus einzufinden. Den Tag über solle er sich mit Fasten und Beten auf die Zeremonie vorbereiten, in der er vielleicht Erlösung finden würde. Außerdem solle er ­darauf sehen, genügend Geld für eine reiche Spende dabei­­zuhaben.
    Fasten und Beten ersparte Hagan sich, aber er hätte gerne die Gegend um das Haus in der Witschgasse erkundet. Doch hielt ihn die Überlegung davon ab, dass man ihn dort mög­licherweise erkennen könnte. Also bummelte er zum Hafen, besuchte die Stapelhäuser, in denen alle ankommenden Schiffsladungen aus Nord und Süd für ein paar Tage den Kölnern zum Kauf angeboten wurden, ehe sie neu verpackt wieder auf den Weg gebracht wurden. Das Stapelrecht war ein hohes Privileg der Stadt. Und die Vielzahl der Waren zeugte von ihrem Wohlstand und ihrer Bedeutung.
    Er wanderte weiter zu den Märkten, auf denen die Bauern des Umlands und die Handwerker ihre Produkte anboten, betrachtete mit geringem Mitgefühl den Fischhändler am Pranger, der mit seiner eigenen, stinkenden Ware beworfen worden war. Mit größerem Mitgefühl sah er einem Zahn­brecher zu, der einen Mann mit dicker Backe behandelte, und hörte dann einem Prediger zu, der mit Inbrunst das verkündete, was er für das Wort Gottes hielt.
    Ihm schenkte Hagan eine gewisse Aufmerksamkeit, und auch er, wie auf der anderen Seite des Rheines seine Tochter Melle, stellte fest, dass die Mär von den Kreuzrittern, die er bereits auf seinem Weg von Konstanz mehrfach gehört hatte, eine neue Wendung genommen hatte.
    Nicht mehr nur das Grabtuch sollten sie gefunden haben, nein, den Leichnam eines Mannes, gebunden in duftendes Leinen.
    Daher also wehte der Wind.
    Der Reliquienschwindel nahm noch weit größere Ausmaße an.
    Und höchst gespannt wartete er nun auf den Abend und seine Einführung in den Konvent der verschleierten Damen. Vielleicht gewann er hier die Erkenntnis, was das eine mit dem anderen zu tun hatte.
    Im Schutz der Dunkelheit folgte Hagan dem Priester durch die

Weitere Kostenlose Bücher