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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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wieder tauchte er aus der Bewusstlosigkeit auf, und dann wähnte er sich in der Hölle.
    Jeg­lichen Bezug zur Zeit hatte er verloren, doch durchlebte Qual war eine Ewigkeit.
    Die Mater Dolorosa, die Schmerzensreiche Mutter, trug ihren Namen zu Recht. Sie war eine Meisterin darin, zu demütigen und zu peinigen. In den vagen Augenblicken, in denen sein Geist nicht von Schmerzen verwirrt war, suchte er sich zu erinnern. Hatte er zu viel preisgegeben? Hatte er die verraten, die er liebte?
    Die er liebte.
    Großer Gott, die er liebte.
    Sein Kind. Und die Frau, die er gebeten hatte, ihm ein Mahl warm zu halten.
    Ihr Gesicht sah er vor seinen Augen. Ihr Lächeln, das so hell und warm wie die Flamme einer hohen Wachskerze war. Er konnte das Bild festhalten. Es war das Einzige und das Beste, was er tun konnte. Eine Hoffnung gab es nicht mehr. Er war dem Tod geweiht. Einem häss­lichen, lang­samen, unendlich grausamen Tod. Aber wenn darin irgendwo seine Seele Frieden finden würde, wenn er die Kraft fände, seinem Leben mit schierer Willenskraft ein Ende zu setzen, dann sollte sein letzter Gedanke bei ihr sein.
    Sie würde sich um Melle kümmern.
    Wieder versank er in der barmherzigen Schwärze.
    Jemand war da.
    Oh Gott, jemand war da, und die Qual würde von Neuem beginnen.
    Im Dunkel flackerte ein kleines Lichtlein. Mühsam zwinkerte er, um zu sehen, wer diesmal sein Peiniger sein würde. Er nahm nicht den schweren, süßen Geruch wahr, den die Mater Dolorosa verströmte.
    Es war ein Mann. Einer der Wächter. Schwarz seine Kleidung, sein Schwertknauf schimmerte silbern. Die Kopf­bedeckung hatte er abgenommen.
    »Wenn Ihr noch einen Rest ritter­licher Tugend kennt, Ritter, seid gnädig. Tötet mich«, krächzte er.
    Der Mann beugte sich über ihn.
    Melle saß zitternd in einer Mauernische und wartete. Die Nacht war hereingebrochen, klamm und kühl, und ein halber Mond lugte zwischen Wolkenschleiern hervor. Piet und Bertrand waren fortgegangen, hatten ihr befohlen, hier sitzen zu bleiben und sich auf keinen Fall zu rühren. Offensichtlich hatten sie schon einen Plan gemacht, während sie das Gebäude erkundete, und nun wollten sie ihn umsetzen. Es ging darum, ein Gefährt aufzutreiben, mit dem sie ihren Vater, der vermutlich verletzt war, fortbringen konnten.
    Es war nicht leicht, geduldig zu warten. Furchtbare Bilder tauchten vor ihren Augen auf. Welche Art von Folter man dort unten betrieb, wusste sie nicht, aber sie hatte genug von schreck­lichen Geräten gehört, die man anwendete, um Verbrechern Geständnisse abzuringen.
    Hin und wieder bildete sich ein Schluchzer in ihrer Kehle, den sie tapfer zu unterdrücken versuchte. Selbst das warme Tierchen an ihrer Schulter spendete ihr keinen Trost mehr.
    Das Klapp-klapp der Hufe kam näher, auch das Rollen von Rädern.
    Melle machte sich noch kleiner in ihrem Winkel.
    Das Gefährt hielt vor ihr und verströmte einen wider­wärtigen Gestank.
    Goldgräber – die Kloakenreiniger, fiel ihr ein, gingen ihrem Geschäft abends und in der Nacht nach, um die Einwohner so wenig wie möglich mit dem Geruch zu beläs­tigen.
    »Melle?«
    Das war doch Piet.
    »Melle, wir sind es.«
    Sie rappelte sich auf.
    »Hör zu, wir beide gehen jetzt da rein und versuchen Hagan rauszuholen. Es geht nicht anders, Bernard muss bei dem Wagen bleiben, um auf ihn aufzupassen. Wir haben ihn einige Straßen weiter entführt.«
    »Gut. Aber …«
    »Melle, ich habe nur einen Arm. Ich kann ihn nicht alleine tragen. Und vermutlich wird er nicht laufen können. Ich brauche deine Hilfe.«
    »Ja, ist gut.«
    Dann ließ sie sich wieder über die Mauer helfen, und Piet folgte ihr. Sie huschten zur Hintertür. Piet entzündete ein kleines Handlicht, ein Blechgehäuse mit einer Talgkerze darin, und reichte es ihr. Dann öffneten sie die Tür und lauschten in die Dunkelheit.
    Ein leichter Stups, und sie stieg die Treppe hinunter. Spürte Piet ganz dicht hinter sich.
    Eine Vorhalle, Fackeln in den Haltern an den Wänden, kalter Weihrauchduft, ein dunkler Vorhang. Sie lauschten weiter. Sahen sich im Flackerschein um.
    Eine Tür, nur angelehnt.
    Ein Stöhnen.
    »Bleib«, hauchte Piet.
    Dann bewegte er sich an die Tür. Melle schirmte das Licht mit einer Hand ab.
    Er riss sie auf, erstarrte.
    Ein Messer flog.
    Ein zweites blitzte.
    »Nicht!«, keuchte jemand. »Freund!«
    Melle sprang vor.
    Das Frettchen entwischte.
    Das Licht fiel auf den Mann in Schwarz, der mit aus­gebreiteten Armen an der Wand lehnte. Zu

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