Die Gefährtin des Vaganten
Gesichtern Beachtung.
Sie bogen von der Hohen Straße in die Witschgasse ab, und Melle bemerkte, dass Piet sich anspannte.
»Da vorne, das Haus ist es.«
»Ja, aber Stephan hat gesagt, reinkommen tut man von dem da nebenan.«
»Ich habe sie an der Vorderpforte ein- und ausgehen sehen.«
»Kann sein, aber es gibt hinter den Häusern einen Weg.«
»Gut, gehen wir um die Häuserzeile herum.«
Von der Holzgasse gab es auch keinen direkten Zugang, eine hohe Mauer versperrte die Sicht auf das Haus des Konvents. Piet sah sich aufmerksam um.
Niemand war in Sicht.
»Heb die Kleine hoch!«
Bertrand hielt Melle die verschränkten Hände hin, und sie stellte einen Fuß hinein. Als er sie hochgehoben hatte, konnte sie einen Blick auf die Hinterhöfe werfen.
»Könnte gehen.«
»Runter!«
Zwei Frauen mit einem Korb voller Holz zwischen sich kamen die Straße hoch. Piet und Bertrand zogen Melle mit sich ein Stück die Gasse hinauf.
»Ein Hof, zwischen den Häusern eine Mauer, aber mit einer Pforte. Wenn ihr mich drüberhebt, könnte ich mehr erkunden.«
»Ja, das könntest du. Es wird Hintereingänge geben, und wenn ein tiefer Gewölbekeller unter den Häusern ist, könnte er dort einen Zugang haben. Melle, es ist gefährlich für dich, das weißt du.«
»Ja, Piet, das weiß ich.«
»Aber du bist unauffällig, und wenn man dich erwischt, sei maulfaul und weis auf das Frettchen. Du bist eine Rattenfängerin und das Tier ist dir nebenan entwischt. Darum suchst du es auf dem Grundstück.«
»Und was suche ich wirklich?«
»Einen Eingang.«
»Aber wenn der zugeschlossen ist?«
Bertrand grinste.
»Das Schloss ist noch nicht erfunden, das ich nicht aufbekomme.«
»Aha. Und wenn es auf ist?«
»Vorsichtig hineinschauen, lauschen, schnüffeln. Melle, du musst wie eine kleine Ratte sein, unauffällig, aber schlau und bereit, deine Umgebung mit allen Sinnen aufzunehmen. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein. Wir warten hier an der Mauer. Wirf einen Stein darüber, damit wir sehen, wo du bist. Berichte uns.«
Und dann zog Piet einen seiner kleinen, spitzen Dolche unter dem schmuddeligen Wams hervor und reichte ihn ihr.
»Wenn nötig, zögere nicht. Ich habe dir gezeigt, wie man damit umgeht.«
»Ja, Piet.«
Melles Mund war staubtrocken.
Die Sonne war nun untergegangen, und das Blau des dunstigen Himmels wurde dunkler. Piet übernahm es, die Gasse im Auge zu behalten. Melle reichte ihm das Frettchen, der Löffelschnitzer half ihr wieder hinauf auf die Mauer. Sie kam auf den Sims, nahm das Frettchen wieder entgegen und sprang in das Gemüsebeet. Das Tierchen gab einen kleinen Protestlaut von sich und wollte entwischen, aber sie hatte es an der Leine und verbrachte eine kleine Weile damit, es zu beruhigen. Dann barg sie es wieder an ihrer Schulter und schlich sich im Schatten der Mauer zum Haus hin. In den oberen Zimmern wurde ein Licht entzündet, aber ansonsten rührte sich nichts.
Vorsichtig ging Melle weiter. Es war alles vollkommen ruhig. Nur irgendwo in den Gärten bellte ein Hund. Spalierobstbäume säumten die Gartenmauer, und einige trockene Blätter knisterten leise unter ihren Füßen. Dann erreichte sie die Hauswand und erkannte die Hintertür. Vorsichtig tastete sie nach einem Riegel. Sie fand ihn, und erstaunlicherweise ließ er sich beinahe lautlos aufschieben. Im Dunkel vor ihr lag eine Steintreppe, die nach unten führte. Ein leichter Hauch wie von Weihrauch flog sie an. Stephan hatte davon berichtet, dass die verschleierten Damen hier eine Art Messe veranstalteten. Also musste es der richtige Ort sein. Aber es war so finster dort unten, dass sie sich nicht traute, die Treppe hinunterzugehen. Oder wenn doch, dann nur einige wenige Stufen.
Und dann hörte sie den Schrei!
Ein Schrei höchster Qual.
Unten schlug eine Tür zu, Schritte entfernten sich.
Vor Angst umklammerte Melle das Frettchen, das quiekte und zu fliehen versuchte.
Das machte auch ihr Beine, und mit klammen Händen und zitternden Knien rannte sie zur Mauer.
»Piet!«, flüsterte sie. »Piet!«
Piets Kopf erschien über der Mauer.
»Sie bringen ihn um!«
»Berichte.«
»Da ist der Keller. Und er hat geschrien. Und es riecht nach Weihrauch. Und …«
»Ruhig, Kind. Du hast nicht gesehen, wer da geschrien hat.«
»Nein, aber er hat ›Laure!‹ geschrien«, schluchzte Melle auf.
Piet gab einen derben Fluch von sich.
Manchmal versank er in der Schwärze. Das war gnädig. Aber lange schien dieser Zustand nicht anzuhalten. Immer
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