Die Gefährtin des Vaganten
angekettet. Welche neue Teufelei hatte sich das verdammte Weib ausgedacht?
Stimmen. Andere als bisher.
Das Quietschen eines Tores.
Wieder rumpelte der Wagen, sein geschundener Körper schlug an Planken und Kanten.
Man fuhr ihn aus der Stadt. Auf einem Nachtkarren.
Hielten sie ihn schon für tot? Würden sie ihn auf dem Acker verscharren?
Unwillkürlich entrang sich ihm ein Stöhnen.
»Still, Magister. Gleich ist es geschafft.«
Magister?
Unsagbare Erleichterung durchflutete ihn.
Seine Freunde.
Sie hatten das Unvorstellbare getan.
Der Wagen blieb stehen, jemand lüpfte die schwere Decke.
»Trinkt das, Magister. Schnell.«
Der Löffelschnitzer. Er hielt ihm ein kleines Gefäß an die Lippen. Gehorsam trank er den süßen Mohnsaft.
Es gab Erlösung.
Sie hieß Laudanum.
Sie hatten Glück, dass der Schmied noch mit den letzten Zechern in der Gaststube saß und mit den vier rauen Kerlen irgendwelche Geschäfte abwickelte. Ein offener Sack mit Fellen stand in der Ecke.
»Wilderer«, erklärte Piet, noch bevor Melle ihn fragen konnte. »Das trifft sich. Dann wird er uns keine Fragen stellen.«
Das tat der Schmied auch nicht, sondern wies ihnen einen Schlafplatz im Holzlager an. Auch das Bündel mit ihren Kleidern händigte er ihnen aus. Allerdings rümpfte er die Nase.
»Drecksarbeit erledigt?«
»In eine Sickergrube getreten. Dem Kind ist das Frettchen entschlüpft.«
»Mhm. Na gut.«
Er brachte ihnen sogar einen Laib Brot und einen Topf Schmalz, aber Melle mochte nichts essen. Sie haspelte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen, wusch sich so gut es ging den Schmutz ab und zog ihre guten Kleider wieder an. Die beiden Männer taten es ihr nach.
In dem Schuppen, der wunderbar sauber nach harzigem Holz roch, zerrte sie einen Hauklotz in eine Ecke, um sich darauf niederzulassen. Sie wickelte sich in die Decke, die der Schmied ihr gegeben hatte, und lehnte sich an die Wand.
Mit tropfenden Haaren kamen Piet und der Ritter zu ihr, von Hane jetzt in Bertrands Kleidern. Er sah plötzlich gar nicht mehr so düster aus.
»Schlafen können wir alle nicht, Lothar. Darum erzählt.«
Lothar – oh, sicher, er durfte nicht als Ritter erkannt werden, schloss Melle. Aber auch wenn er ihnen geholfen hatte, so hatte er doch einige böse Taten vollbracht. Das wollte sie zuerst geklärt wissen.
»Ihr wolltet Frau Hemma umbringen«, sagte sie. »Warum?«
»Es wurde mir befohlen.« Er strich sich mit einer ratlosen Geste die nassen Haare aus dem Gesicht. »Wenn ich es erklären soll … Es fängt alles sehr viel früher an.«
»Die Nacht ist noch lang.«
»Ja, das stimmt. Jungfer Melle, ich bedauere sehr, dass die alte Frau zu Schaden kam. Ich bedauere so vieles, aber inzwischen weiß ich, dass das eine meiner übelsten Taten war.«
Jungfer Melle – so hatte sie noch nie jemand angeredet.
Aber bevor sie sich weiter darüber wundern konnte, erzählte Lothar von Hane weiter.
»Ich stamme aus einem alten Rittergeschlecht, unser Stammsitz liegt in Dünnwald. Wir sind Lehnsleute des Herrn von Berg, aber es hat seit Jahrhunderten Tradition in unserer Familie, dass wir den Bräuten Christi den Ehrendienst erweisen. Wir – und die Nachkommen zweier weiterer Ritter.«
»Den Bräuten Christi?«
»So nennen sich die verschleierten Damen.«
»Und Ehrendienst – mit dem Schwert?«
»Zu ihrem Schutz. Einst, Jungfer Melle, war es der Minnedienst, den wir als Pagen und Knappen bei ihnen erlernten. Die Achtung vor den hohen Damen, die Höflichkeit, die ergebene Verehrung und natürlich die keusche Liebe. Schon mit sieben Jahren lernten wir ihnen aufzuwarten, ihren Wünschen und Befehlen zu folgen. Leicht fiel es uns, denn die Damen waren freundlich zu uns.«
»Ihr habt in dem Konvent gelebt?«
»Nein. Ritter, Knappen und Pagen haben ein eigenes Quartier. Ich werde es Euch um der Knaben willen nicht verraten, wo es sich befindet.«
»Schon gut.«
»Ist man Knappe geworden, werden die Dienste schwieriger. Man geleitet die verschleierten Frauen in die Kirche, bewacht das Haus, prüft die Ein- und Ausgehenden und nimmt schließlich an den geheimen Riten teil. Aber bis es dahin kommt, muss man sich Prüfungen unterziehen, kampferprobt sein und vor allem zölibatär leben.«
»Schwierig für junge Männer.«
»So ist es.«
»Warum unterziehen sich die Männer diesen Prüfungen?«
»Weil es eine hohe Ehre ist. So hat man es mir, seit ich denken kann, eingeprägt. Mein Vater war einer der obersten Wächter, er war für
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