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Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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hielt sie auf.
    »Herrin, die Martine hat sich in der Braustube versteckt und will nicht herauskommen.«
    »Kann ich keinen Nachmittag fortgehen, ohne dass hier alles drunter und drüber geht?«, murrte Laure und machte eine Kehrtwendung, um über den Hof wieder zu dem Gebäude zu eilen, in dem das Korn gemälzt wurde und der große Gärkessel stand. Der Ritter unterhielt sich inzwischen mit einem der Händler am Brunnen. Sie beachtete ihn nicht.
    Als sie in die Braustube trat, sah sie sich suchend um. Die stumme Magd schien verschwunden zu sein. Doch dann entdeckte sie sie hinter dem Kessel kauernd, zitternd und verstört.
    »Was ist dir, Martine? Hat dir jemand ein Leid getan?«
    Sie vermeinte ein Kopfschütteln zu sehen.
    »Martine, komm da heraus. Oder bist du krank?«
    Wieder ein Kopfschütteln.
    »Hat dir jemand Angst gemacht?«
    Ein ganz zaghaftes Nicken.
    Laure seufzte. Sollten Alard und Cord wieder aufgetaucht sein? Die beiden Raubeine würden sich bestimmt einen Spaß daraus machen, eine wehrlose Frau in Schrecken zu versetzen.
    »Na gut, Martine, wenn du dich hier sicher fühlst, dann bleib hier. Wir reden später darüber.«
    Sie kam aber an diesem Tag nicht mehr dazu, denn ein Geleitzug traf ein, und Frachtkarren, Pferde, Knechte und ein halbes Dutzend Fernhändler mussten untergebracht und versorgt werden. Sie eilte zwischen Schlafkammern, Gaststube und Küche umher, servierte Suppe, Bratenscheiben und Pasteten, scheuchte ihre Kinder bei Einbruch der Dämmerung in ihre Betten und hörte von Paitze, dass Martine irgendwann in dem ganzen Trubel aus der Braustube in die Gesindeunterkünfte gehuscht sei.
    Es war spät geworden, als sie selbst endlich ihre Kammer aufsuchen konnte. Ihre Füße schmerzten, die Arme waren müde von den vielen Schüsseln und Tellern, die sie hatte tragen müssen, aber dennoch nahm sie sich die Zeit, wie jede Nacht vor dem Zubettgehen, ihr Büchlein hervorzuholen.
    Wie von selbst entstand das schöne Gesicht des Ritters auf der leeren Seite.
    Laure schüttelte den Kopf. Das sollte nicht sein. Nein, das durfte nicht sein. Er war ein Herr von Stand, und selbst wenn er freundlich zu ihr war – für sie gab es keine Hoffnung.
    Und dennoch, Elseken war scharfäugig genug zu erkennen, dass sie sich nach ihm verzehrte.
    Achtundzwanzig Jahre war sie alt, und seit fünf Jahren hatte kein Mann mehr ihr Bett gewärmt. Kornel war ein guter Ehemann gewesen und hatte sie immer mit Zärtlichkeit behandelt. Sie wusste, welche Freuden das Ehelager einem Weib schenken konnte. Mehr noch, sie wusste auch um die Traulichkeit, sich an eine starke Schulter lehnen, sich vertrauensvoll im Dunkel der Nacht in männ­liche Arme schmiegen zu können.
    Fünf Jahre lang hatte kein Mann sie liebevoll an sich gedrückt, hatte sanft über ihre Haare gestreichelt, verlangend ihre Lippen geküsst.
    Sie sehnte sich danach.
    Sie schlug das Buch energisch zu.
    Es durfte nicht sein. Sie durfte nicht einmal daran denken.
    Dennoch tat sie es.
    Vor zwei Monaten hatte sie in der halbleeren Gaststube gesessen und für Paitze ein Muster auf ein Band gezeichnet, das das Mädchen besticken wollte. Eine Weinrebe mit Blättern, schlicht, aber elegant gewunden. Der Ritter war hinzugekommen, hatte das Werk bewundert und eine Kopie von ihr erbeten. Und nun trug er ihr Muster auf seiner Schwertscheide.
    Auf den Turnieren trugen die Ritter Bänder mit den Farben ihrer Damen, hieß es. Eine sehr höfische Sitte, die Ehrerbietung und Achtung ausdrückte. Und mög­licherweise auch mehr.
    Nein, nicht an so etwas denken, schalt Laure sich zum dritten Mal, und ihr unruhiger Geist suchte nach einer Ablenkung. Es war doch noch so viel anderes an diesem Tag geschehen.
    Ihr Besuch bei Hemma. Hemma war eine so kluge Frau. Sie konnte sogar lesen und schreiben. Und immer, wenn sie sie besuchte, gab sie ihr etwas zum Nachdenken mit.
    Erinnerungen hatte sie heute gesagt. Religare, Reliquien. Ihre geschnitzten kleinen Erinnerungen, die Flügel und die weißen Federchen, die die Zankhähne daran erinnern würden, dass man einen Streit schlichten konnte. Dass man zuallererst den Streit mit sich selbst beenden musste.
    Das war die gute Seite der Amulette, vielleicht auch der Reliquien. Viele Amulette enthielten Reliquien. So das kleine Silberkästchen, das der Pelzhändler heute vorgewiesen hatte und dessen Wunderwirksamkeit er so vollmundig hervorhob. Der Fingernagel des heiligen Florian hatte ihn, wie er in dramatischer Form berichtete, bei einem

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