Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gefährtin des Vaganten

Die Gefährtin des Vaganten

Titel: Die Gefährtin des Vaganten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Schöpfung bewusst gemacht. Ihren Glauben hatte sie dadurch wiedergefunden, gewandelt, aber doch gefestigt.
    Hemma war es auch gewesen, die ihr, als Laures Welt zum zweiten Mal und weit dramatischer zusammenstürzte, geholfen hatte, aus diesem Tal der Dunkelheit zu entkommen. Denn als vor fünf Jahren Kornel an einer schweren Krankheit gestorben war, hatte sich Laure vollkommen verloren gefühlt.
    »Zeichne sein Gesicht, mein Kind. Und die Gesichter deiner Kinder«, hatte sie ihr geraten. Sie hatte es getan, zunächst ungelenk, dann immer feinsinniger und exakter. Nach und nach hatte sie die Ähnlichkeiten seiner und ihrer Züge in denen von Paitze und Jan entdeckt, hatte Gefühle darin gesehen, Wünsche und Hoffnungen. Und bald darauf hatte sie dann auch die Gesichter der anderen Menschen in ihrer Umgebung gezeichnet – und sich in ihrer Unbedarftheit damit Feinde gemacht.
    Hemma hatte den letzten Rest der Kirschspeise aus der Schüssel gekratzt und den Löffel niedergelegt.
    »Lecker!«
    »Ich weiß. Aber Ihr habt auch Sinn für Schönheit.« Laure hatte eine kleine Schnitzerei in die Hand genommen und betrachtete sie nachdenklich.
    »Ist das ein Flügel?«
    »Ja, es soll einen Flügel darstellen.«
    »Wozu soll er dienen?«
    »Um zu erinnern – das ist die Aufgabe von Amuletten und Reliquien, nicht wahr? Religato – das Zurückbinden. Ich gebe diese Dinge denen mit, die Rat bei mir gesucht haben. Manch einer bittet mich um solche Zeichen. Zusammen mit einem weißen Federchen werden sie sich an die Friedenstauben erinnern.«
    »Ja, das mag hilfreich sein – sich zu erinnern.«
    »Denk darüber nach, Kind, was Erinnerungen vermögen. Ich zum Beispiel werde mich an diese Süße erinnern«, sagte Hemma mit einem leisen Lachen und legte die leere Schüssel in Laures Korb zurück.
    »Ich bringe Euch bald wieder eine Nascherei. Die Zeit der Reife bricht an.«
    Laure erhob sich. Sie musste zum Wirtshaus zurückkehren. Arbeit wartete auf sie, viel Arbeit, wie immer. Aber hin und wieder brauchte sie die Besuche in der stillen Klause.
    Der Bär war wach geworden und trottete ein Stückchen neben ihr her. Oben im Geäst einer Eiche erspähte sie auch den Luchs, der ihnen mit seinen Blicken folgte. Ein Blau­häher schwebte lautlos zwischen den Bäumen, und irgendwo klopfte ein Specht an einen Stamm.
    Schon als sie in den Hof trat, machte Laures Herz einen kleinen Hüpfer. Neben einem hochgewachsenen Mann standen Jan und Paitze, eifrig in das Gespräch mit ihm vertieft.
    Der Ritter Lothar von Hane erwies dem Gasthaus wieder einmal die Ehre seines Besuches. Er war ein ansehn­licher Mann, nur wenige Jahre älter als sie selbst, hatte edle, ein wenig asketische Gesichtszüge, die jetzt von einem fröh­lichen Lächeln überglänzt wurden. Und als er ihrer gewahr wurde, leuchteten auch seine Augen auf.
    »Frau Wirtin, Eure liebreizenden Kinder bewundern, was ich aus Eurer kleinen Gabe habe herstellen lassen«, sagte er, und jeder der beiden zeigte ihr verzückt einen Ledergürtel vor, der mit einer verschlungenen Ranke verziert war.
    »Der wohledle Herr hat sie uns geschenkt, Mama«, sagte Jan.
    »Und er hat seine Schwert- und Dolchscheide damit verzieren lassen«, gieckste Paitze.
    »Seid gegrüßt, edler Herr.« Laure neigte den Kopf achtungsvoll. »Wie ich sehe, hat meine Kritzelei Euer Wohl­gefallen gefunden.«
    »Kritzelei sicher nicht, der Lederer, der es als Vorlage genommen hat, war ebenso voll des Lobes wie ich.«
    Laure bemerkte, dass ihr die Röte ins Gesicht stieg, und wurde verlegen darüber. Dass die Kinder den freund­lichen Ritter anhimmelten, verstand sie ja noch, aber ihre eigenen Gefühle wollte sie lieber nicht zur Schau tragen.
    »Verzeiht, Herr, ich muss mich um meine Pflichten kümmern«, brachte sie vor und eilte in die Küche.
    Keine gute Entscheidung, wie sich zeigte.
    »Tust du dem Ritter schon wieder schön?«, giftete Elseken sie an. »Was will der hier? Und wo hast du dich so lange herumgetrieben?«
    »Ich war bei Hemma«, beschied Laure ihr kurz angebunden und stellte den Korb ab. »Und was der Herr von Hane hier wünscht, außer vielleicht eine Mahlzeit, wie alle anderen Gäste, kann ich dir nicht sagen.«
    »Ich schon. Du bist eine junge Witwe und ein dreistes Weib, das ihm schöne Augen macht.«
    »Achte auf deinen Kessel, Elseken, damit die Gäste heute nicht angebrannte Suppe essen müssen.«
    Sie verließ die Küche durch die Gaststube, die schon gut besucht war. Eine der Schankmaiden

Weitere Kostenlose Bücher