Die Gefährtin des Vaganten
Unwetter im nordischen Meer davor bewahrt, vom Blitz erschlagen zu werden, obgleich der in den Mast fuhr und dieser zerbarst, die Wellen das Schiff überspülten und die Seeleute gleich reihenweise in die tosenden Fluten stürzten.
Laure entdeckte, dass sie lächelte. Ja, der Pelzhändler hatte eine farbenprächtige Geschichte zu erzählen gehabt, der alle lauschten, und mehr als ein Humpen Bier war ihm zum Dank kredenzt worden.
Die Erinnerung an die gefahrvolle Überfahrt würde ihn lange begleiten, und immer, wenn er seine Reliquie betrachtete, würde er weniger an den heiligen Florian, den Beschützer vor Feuer und Unwetter denken, als an die Todesgefahr, der er selbst entronnen war.
Aber hatte der heilige Florian ihn gerettet, weil er seinen Fingernagel bei sich trug?
Früher, dachte Laure, hätte sie das ohne den geringsten Zweifel geglaubt. Sie erinnerte sich noch daran, wie ihre Eltern sie als Kind mit nach Köln genommen hatten, in den Dom, halb fertig nur, doch schon himmelhoch aufragend mit seinen Pfeilern und Streben. Der goldene Schrein, in dem die Gebeine der Heiligen Drei Könige ruhten, hatte ihr den Atem geraubt. Ja, es hatte sie mit grenzenloser Ehrfurcht erfüllt, ihn auch nur von ferne zu sehen. Wie wunderwirksam mussten diese Reliquien sein, die in einem solch wertvollen Gehäuse geborgen lagen.
Erstaunlichste Geschichten erzählte man sich, von Heilung und Vergebung, von Trost und Entrinnen aus Gefahr. Aber ihre Trauer um Kornel hatten die Könige ihr nicht genommen, obgleich sie zu ihnen gepilgert war.
Andererseits – sich an etwas Gutes zu erinnern, das half in Bedrängnis und Not. Hemma hatte sie dazu gebracht, sich an Kornels Gesicht zu erinnern und ihn in ihren Kindern wiederzufinden.
Also mochte tatsächlich eine Art Zauber in der Erinnerung liegen, und wenn ein Gegenstand einem dabei half, sich zu erinnern, dann war das gut.
Ob sich der Ritter an sie erinnerte, wenn er das Muster auf seiner Schwertscheide sah?
Beim Dornenkranz Christi, daran wollte sie doch nicht mehr denken.
9. Kirchenbesuch in Speyer
Wenn man das Kreuz anbetet, an dem Christus gestorben ist,
muss man auch den Esel anbeten, auf dem er geritten ist.
Bischof Claudius von Turin, 9. Jh.
Bertrand, der Löffelschnitzer, hatte neben seiner Begabung, aus allerlei Holzstücken Essgeräte herzustellen, auch noch andere Fähigkeiten, was feine mechanische Dinge anbelangte. Schlösser an Türen konnte er mit allerlei Tricks öffnen.
Leise und nur beim Schein eines kleinen Handlichts.
Was von Vorteil war, wenn man in die Sakristei einer Dorfkirche bei Speyer eindringen wollte und die Truhe zu öffnen wünschte, in der die Kollektionen aufbewahrt wurden.
»Es sind die Einkünfte aus meiner Pfründe«, hatte Hagan Piet erklärt. »Sie stehen mir zu.«
»Auch nach deinem Tod?«
»Hab ich einen Nachfolger?«
Piet hatte gegrinst und dem Löffelschnitzer zugenickt.
Von Straßburg aus waren sie zur Domstadt weitergezogen, doch hatten sie ihr Lager vor den Mauern aufgeschlagen. Auch wenn Hagan, der sich noch einmal den Kopf hatte glatt rasieren und seinen Bart zottelig werden lassen, wohl kaum von einem Bürger als ihr ehemaliger Weihbischof erkannt werden würde, wollte er doch Vorsicht walten lassen. Aber Geld brauchte er für seine Pläne, und die Pfründe war reich. Da er wusste, wo die Kollektoren die Münzen sammelten, konnte er seine Begleiter zu der entsprechenden Kirche führen. Die nächtliche Mission war eben notwendig, da er sich nicht zu erkennen geben durfte.
Die Truhe war wohlgefüllt. Er, Piet und der Löffelschnitzer Bertrand verstauten die gold- und silbergefüllten Lederbeutel unter ihren Wämsern und schlichen sich unbemerkt zum Lager zurück. Hagan hatte vorgeschlagen, gleich aufzubrechen, aber Piet hatte den Kopf geschüttelt.
»Vaganten, die sich in der Dunkelheit davonstehlen, geraten in Verdacht, vor einer Entdeckung zu fliehen.«
»Auch wieder richtig. Dann reisen wir morgen im Laufe des Tages.«
Sie brachen um die Mittagszeit auf, und als sie eine Weile gewandert waren, blieb Hagan plötzlich stehen und sah zurück. Noch waren die Kuppel und die beiden Türme des Doms zu erkennen.
»Heimweh?«, fragte Inocenta.
Er zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder in Bewegung. Nicht eigentlich Heimweh, aber ein leiser Schmerz war es doch. Er hatte eine gute Zeit in Speyer verlebt. Eine viel zu gute vielleicht. Immerhin, der Speck des Wohllebens war von seinem Leib geschmolzen,
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