Die Gefährtin des Vaganten
das Grab mit einem schweren Stein. Die Juden aber wollten nicht, dass ein verurteilter Verbrecher in kostbaren Ölen gesalbt bestattet würde, und so trat Joseph von Arimathäa vor ihren Rat und sagte: ›Ihr habt nicht schön an dem Gerechten gehandelt, dass ihr keine Reue empfunden habt ob seiner Kreuzigung, sondern ihn sogar mit einer Lanze durchbohrt habt.‹ Da packten die Juden den Joseph und befahlen, ihn in sichere Verwahrung zu bringen bis zum ersten Tag nach dem Sabbat. Nikodemus aber befreite den Joseph, und gemeinsam salbten sie den Leichnam des Herrn und wickelten ihn in Binden und brachten ihn fort. Das blutige Grabtuch blieb in der Grabhöhle, wo Simon Petrus und die Jünger es am Ostermorgen fanden.« Und dann schilderte der Prediger, wie das Grabtuch und das Schweißtuch von den tapferen Kreuzrittern bei der Zerstörung Konstantinopels gefunden wurde, und welch Wunder es war, dass der Leib des Herrn darauf abgebildet war.
»Was bezweckt der denn damit?«, murrte Jurg, der junge Jonglierer.
»Genau das, mein Junge, worüber wir letzthin so erfindungsreich debattiert haben – er legt den Grundstock für einen schwunghaften Reliquienhandel. Die Leinenweber wird es freuen«, erklärte Hagan leise.
»Oh … klar, ein Faden aus dem Grabtuch Christi ist noch heiliger als die Eselsäppel.«
»Kennst du diese Geschichte, die er da erzählt, Magister?«
»Johannes-Evangelium, leicht abgewandelt, würde ich sagen. Man beachtet diese Stelle selten, die Auferstehung ist eigentlich wichtiger als die Grablegung. Aber das gibt schon was her, wenn man Geschäfte mit dem Leichentuch machen will. Es ist ja angeblich wirklich gefunden worden. Allerdings halten einige Leute es für eine Fälschung.«
»Aber man glaubt gerne daran, dass es echt ist.«
»Sicher. Bietet doch viele Möglichkeiten – Pilgerfahrten, Spenden und Almosen: Wunder werden bei dem Anblick des Tuches geschehen.«
»Und wir haben unsere Ideen für zu aberwitzig gehalten«, knurrte Piet.
10. Hollermilch
Der Streit zwischen den Bergischen und den von Moers – Parteien, die im Zuge der Wahl des Kölner Erzbischofs Dietrich von Moers in Fehde lagen – hatte im Juni dazu geführt, dass der Rhein für die Schifffahrt gesperrt wurde. Von den kriegerischen Auseinandersetzungen selbst war im Gasthaus »Zur Bischofsmütze« wenig zu spüren, wohl aber von den Auswirkungen der Blockade. Denn nun waren die Händler, die ihre Waren auf der Nord-Süd-Route transportierten, gezwungen, den Landweg zu nehmen.
Laure kam kaum noch zum Verschnaufen. Trotzdem hatte sie Zeit gefunden, den Kindern Hollermilch zu bereiten. Jan und Paitze hatten in der Früh Holunderblüten gesammelt und ihr auch die Kanne Milch gebracht, und so hatte sie diese mit den Dolden in einem kleinen Kessel aufkochen lassen, das Fruchtgelee, das Agrez, darin aufgelöst, mit Honig gesüßt, mit einigen Eigelb legiert und in Tonschüsseln erstarren lassen. Aber sie hatte die Kinder gemahnt, auch der Einsiedlerin davon eine Schüssel zu bringen.
Und dann bat an eben diesem sonnigen Freitagmorgen Ende Juni auch noch ein Zimmermann auf der Walz um Unterkunft.
»Olaf?« Entgeistert sah Laure den breitschultrigen Mann mit dem Bündel über der Schulter an. Ein goldener Ohrring glitzerte unter seinen langen, rotbraunen Haaren, sein stoppelbärtiges Gesicht war zum Grinsen verzogen. »Olaf?«
»Meister Olaf Timmermann, wenn ich bitten darf, Frau Wirtin!«
»Meister Olaf!« Laure ließ die Kräuter fallen, die sie aus dem Garten geholt hatte, und umarmte ihren Bruder überschwänglich. Er hob sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum.
»Meister Olaf, ja, das gefällt mir. Bist du schon in Porz bei den Eltern gewesen?«
»Nein, ich dachte, ich mache hier eine Rast und lasse mir von dir einen Festschmaus richten.«
»Sollst du gerne haben, aber sieh selbst, wir platzen aus allen Nähten.«
»Wohl wahr. Dann schleich dich fort, und wir schaffen der Mutter an, das Festmahl zu richten.«
»Ich kann hier nicht weg, Olaf!«
»Kannst du doch. So säuerlich wie das Weib dort dich anblickt, solltest du schnellstmöglich hier verschwinden. Die hat ja wahrlich den bösen Blick.«
Laure folgte seinen Augen und bemerkte Elseken, die wieder mal eine giftige Miene aufgesetzt hatte. Seit Tagen keifte sie herum, hatte an allem etwas auszusetzen, fauchte und spuckte, sowie man etwas von ihr verlangte. Zum Glück waren die Gäste froh, überhaupt Unterkunft und Verpflegung zu bekommen, sodass sich
Weitere Kostenlose Bücher