Die Gefahr
mit dem Jungstar der Anwaltskanzlei, einem Kollegen, der sechzehn Jahre älter war als sie. Es war eine leidenschaftliche Affäre gewesen, die jäh endete, als einige einflussreiche Leute aus dem Wirtschaftsleben von Seattle und der Partei beschlossen, ihn als kommenden Senator von Washington ins Rennen zu schicken. Fast über Nacht sah sie ihn mit ganz anderen Augen, nachdem der elende Wicht nicht einmal den Mumm gehabt hatte, ihr zu sagen, dass es aus war.
Er verabredete sich mit ihr zum Essen, doch an seiner Stelle tauchte ausgerechnet seine Mutter auf. Er war natürlich verheiratet und hatte zwei Kinder. Der Wahlkampf wurde bereits vorbereitet, und einflussreiche Leute hatten schon stattliche Summen bereitgestellt, um ihn zu finanzieren. Der alte Drachen teilte ihr mit, dass sie nicht die erste und wohl auch nicht die letzte Frau gewesen sei, mit der ihr Sohn eine Affäre gehabt habe. Die Matriarchin der Familie ließ durchblicken, dass Peggy mit einer stattlichen Abfindung rechnen könne. Peggy lehnte das Angebot ab, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern. Sie mochte ja naiv gewesen sein, aber sie hatte schon damals ihren Stolz.
Als das Hauptgericht serviert wurde, hatte sich Peggy einigermaßen von dem Schock erholt und stellte unmissverständlich klar, dass sie kein Interesse hatte, in einen Skandal hineingezogen zu werden. Niemand außer dem politischen Gegner ihres Sohnes würde etwas dabei gewinnen, wenn sie mit der Sache an die Öffentlichkeit ginge – und so schloss sie mit der Mutter des Mannes eine Art Abkommen, das ihr garantierte, dass ihr eigener Aufstieg durch nichts behindert werden würde.
Und so kam es auch. Peggy Stealey war noch keine vierzig und schon Stellvertretende Justizministerin mit dem Hauptaufgabengebiet Terrorbekämpfung, und nun stand sie vor dem Mann, dessen Job sie eines Tages zu übernehmen gedachte. Sie lauschte dem Telefongespräch, das der Justizminister gerade führte, bis sie sicher war, dass er weder mit dem Präsidenten noch mit seiner Frau sprach, und gab ihm dann mit einer sehr bestimmten Geste zu verstehen, dass er auflegen solle.
Justizminister Martin Stokes sah seine Untergebene stirnrunzelnd an, doch er kam ihrem Wunsch nach und beendete das Gespräch mit dem Direktor des FBI quasi mitten im Satz. Stokes wusste, dass Stealey durchaus imstande war, zum Telefon zu greifen und sein Gespräch abrupt zu beenden. Er fragte sich manchmal, warum er sich die Zusammenarbeit mit ihr antat, doch er kannte die Antwort ganz genau. Sie war intelligent und hoch motiviert, und sie lieferte ausgezeichnete Resultate. Sie hatte ihm in all den Jahren immer wieder wertvolle Ratschläge gegeben, ob er sie nun hören wollte oder nicht, und allein deshalb war sie Gold wert.
In der Politik gab es ohnehin genug Speichellecker – deshalb war Peggy Stealeys offene, unverblümte Art durchaus erfrischend. Sie war wie ein mächtiges Frühlingsgewitter. Man sah es schon von weitem kommen und man spürte mit wachsender Aufregung, dass sich etwas zusammenbraute. Wenn das Gewitter kurz und heftig ausfiel, war es etwas durchaus Begrüßenswertes, weil es die aufgeladene Atmosphäre reinigte. Wenn es aber länger andauerte, dann wurden Keller überflutet, Bäume entwurzelt und Häuser beschädigt.
So war Peggy Stealey. Wenn sie ihre fundierten Ansichten in aller Kürze mitteilte, so konnte man davon ungemein profitieren. Wenn sie aber beschloss, alles herauszulassen, was in ihr brodelte, so konnte das eine zerstörerische Gewalt entwickeln; es war dann mitunter ratsam, das Gewitter nicht länger mitzuverfolgen, sondern sich im Keller zu verkriechen.
Stokes legte den Hörer auf und hoffte, dass es kurz und schmerzlos abgehen würde. Noch bevor er dazu kam, zu fragen, was sie auf dem Herzen hatte, legte sie bereits los.
»Dieser Patriot Act ist eine einzige Katastrophe!« Sie wirbelte mit der Hand durch die Luft, als wolle sie den Schreibtisch entzweischneiden. »Und wenn du weiter davon träumen willst, eines Tages ins Weiße Haus einzuziehen, dann solltest du dir, verdammt noch mal, darüber klar werden, dass du mit diesem Machwerk wie ein gottverdammter Faschist aussiehst. Und falls du’s noch nicht bemerkt hast – die Amerikaner wählen keine Faschisten … zumindest keine aus der Demokratischen Partei.«
Das war es also. Sie hatte ihr Anliegen in wenigen Sekunden mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht. Und er war auch im Großen und Ganzen derselben Meinung – abgesehen vielleicht
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