Die Gefahr
sind wie gelähmt, doch die Schlauen ergreifen auch inmitten des allgemeinen Durcheinanders ihre Chance. Wenn die Bombe hochging, so wusste Stokes, dass sein Name für immer mit einem Präsidenten verbunden sein würde, der einfach nicht schnell genug reagiert hatte.
Das Heimatschutzministerium konnte man vergessen. Die amerikanische Bevölkerung hatte ohnehin nur eine sehr vage Vorstellung davon, wofür diese Kerle gut waren. Mit dem Justizministerium und dem FBI war es etwas anderes. Die Menschen wussten, dass in erster Linie der Präsident und in zweiter Linie der Justizminister für ihre Sicherheit zuständig waren.
Und Präsidenten wurden selten geopfert, zumindest nicht vor der nächsten Wahl. Wenn jemand geopfert wurde, dann stets irgendjemand aus dem Kabinett des Präsidenten. Wenn etwas schief ging, war es meistens ein Minister, der den Medien zum Fraß vorgeworfen und anschließend gefeuert wurde. Und wenn die Karriere und der Ruf ruiniert waren, konnte man davon ausgehen, dass einen all die Leute, die zuvor noch so getan hatten, als wären sie treue Freunde, nun wie einen Aussätzigen behandelten. Ja, in Washington konnte es schnell passieren, dass ein Mächtiger sehr tief fiel, doch Justizminister Stokes hatte nicht vor, als Fußnote in dieser modernen Version einer griechischen Tragödie zu enden.
Als Realist wusste er jedoch, dass es zwecklos gewesen wäre, wenn man so spät noch versuchte, der abgefeuerten Kugel auszuweichen. Es bestand noch eine gewisse Chance, dass sie nicht ihn traf, sondern Minister McClellan. Das Ministerium für Homeland Security steckte zwar noch in den Kinderschuhen, hatte sich aber bereits den Ruf erworben, von lauter Dilettanten besetzt zu sein. Doch bei einer Katastrophe dieser Größenordnung war es sehr wahrscheinlich, dass mehr als nur ein Kabinettsmitglied nötig war, um den Zorn der Bürger zu besänftigen. Nein, diese Sache war zu groß, um sich noch zu verstecken. Die beste Taktik war, Loyalität gegenüber dem Präsidenten zu demonstrieren und zu hoffen, dass dieser Reimer und seine NEST-Leute wirklich so gut waren, wie man sich erzählte.
Die Einwände von Mount Weather gingen unterdessen munter weiter. Minister McClellan schlug einmal mehr vor, Charleston abzuriegeln. Der morgendliche Berufsverkehr flutete mittlerweile in die Stadt, und mit jeder Minute, die verging, so argumentierte er, würden sich Hunderte, wenn nicht Tausende von Menschen in die Gefahrenzone begeben. Er verlangte, dass zumindest der Verkehr in die Stadt gestoppt wurde. Finanzminister Keane wiederum meinte, dass sie, wenn sie Charleston abriegelten, auch gleich die Finanzmärkte würden schließen müssen.
Irgendwann im Laufe der Debatte fiel Stokes auf, dass General Flood und Verteidigungsminister Culbertson nicht mehr anwesend waren. Er nahm an, dass sie sich um die drei anderen Schiffe kümmerten, die im Verdacht standen, eine tödliche Fracht zu transportieren. Stokes wollte sich schon in die Auseinandersetzung einmischen, als Vizepräsident Baxter offenbar auf die ziemlich abwegige Idee kam, auf mögliche politische Konsequenzen der aktuellen Krise hinweisen zu müssen.
»Robert«, sagte Baxter, zum Präsidenten gewandt, »wir müssen uns demnächst der Wiederwahl stellen. Wenn die Sache schiefgeht und die Medien herausfinden, dass wir davon gewusst und nichts getan haben, um die Bürger von Charleston zu schützen, dann sehe ich schwarz für eine zweite Amtszeit.«
Stokes kannte Vizepräsident Baxter gut genug, um zu wissen, dass er nicht dumm war, deshalb nahm er an, dass ihm sein Stolz gebieten werde, sich gebührend in Szene zu setzen. Es war kein Geheimnis, dass Präsident Hayes seinen Vizepräsidenten ins politische Abseits gestellt hatte. Die beiden waren im Wahlkampf zusammengespannt worden und bildeten zunächst ein recht erfolgreiches Team, was sich jedoch rasch änderte. Baxter stammte aus Kalifornien und füllte nicht nur die Wahlkampfkasse gehörig auf, sondern half Hayes auch, den wertvollsten Bundesstaat zu gewinnen. Danach ging das Verhältnis zwischen den beiden jedoch rasch den Bach hinunter, und Baxter war mehr oder weniger isoliert. Er hatte den Großteil der vergangenen beiden Jahre entweder im Ausland verbracht oder war damit beschäftigt gewesen, Spenden aufzutreiben. Bei allen wirklich wichtigen Ereignissen war er jedenfalls abwesend.
Es kursierten Gerüchte, wonach Baxter ersetzt werden sollte, und Stokes vermutete, dass der Mann diesen Moment gewählt
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