Die gefangene Braut
die Hand und wirkte dabei sehr nervös. Sie setzte sich, um zu lesen, was er ihr geschrieben hatte.
Christina,
ich habe Rashid gebeten, dich zu deinem Bruder zurückzubringen. Ich hätte nicht geglaubt, daß es soweit kommt, aber die Feuer sind erloschen, und es hat keinen Sinn, so weiterzumachen. Ich gebe dich frei, und das ist ja das, was du immer wolltest. Ich möchte, daß du fort bist, wenn ich zurückkomme. Es ist besser so.
Philip
Christina schüttelte den Kopf und starrte ungläubig den Zettel an. Nein – das konnte nicht wahr sein. Es war irgendein grausamer Scherz. Aber warum fühlte sie sich innerlich ganz krank? Ein Kloß saß in ihrer Kehle, und die Finger, mit denen sie das Papier zerknüllte, waren kalt und klamm.
»Gütiger Himmel – warum sollte er mir das ausgerechnet jetzt antun?« flüsterte sie heiser.
Die Tränen strömten ungehindert über ihre Wangen, und ihre Nägel gruben sich tief in ihre Handfläche, als sie das Blatt Papier, das ihr Leben zerstörte, zusammenpreßte. Doch sie spürte nur den inneren Schmerz, der sie verzehrte.
»Wir müssen jetzt gehen, Christina.«
»Was?«
Christina blickte auf und sah ihn an, als wisse sie nicht, wer er sei. Doch dann kehrte das Leben in sie zurück, und plötzlich packte sie eine ungeheure Wut auf Philip. Wie konnte er sie so dickfällig abschieben?
»Nein!« sagte sie eilig. »Ich gehe nicht. Ich lasse mich nicht ablegen wie ein altes Hemd. Ich bleibe hier und rede selbst mit ihm. Soll er mir doch ins Gesicht sagen, daß er will, daß ich verschwinde. Ich werde es ihm nicht leicht machen.«
Rashid sah sie überrascht an. »Aber ich dachte, du wolltest zu deinem Bruder zurückkehren. Du hast mir doch selbst gesagt, daß zwischen Abu und dir nicht alles stimmt.«
»Das ist lange her. Seit damals hat sich alles geändert. Ich liebe ihn, Rashid.«
»Das hast du ihm doch nicht etwa gesagt?«
»Nein«, flüsterte sie. »Wie hätte ich es ihm sagen können, wenn ich nicht weiß, was er empfindet? Aber jetzt weiß ich es ja.«
»Es tut mir leid, Christina. Aber du kannst nicht hierbleiben. Er hat mir befohlen, dich vor seiner Rückkehr fortzubringen.«
»Ich gehe aber nicht. Soll er mir doch ins Gesicht sagen, daß er mich nicht mehr haben will.«
Rashid machte einen verzweifelten Eindruck. »Christina, wir müssen gehen! Ich wollte es dir nicht sagen, aber du zwingst mich dazu. Abu begehrt dich nicht mehr.
Er will dich aus dem Weg räumen, damit er Nura heiraten kann, wenn er zurückkommt.«
»Hat er dir das gesagt?«
»Ja«, sagte Rashid leise und mit niedergeschlagenen Lidern.
»Wann?«
»Heute morgen – ehe er losgeritten ist. Aber es ist nicht das erste Mal, daß er darüber gesprochen hat. Es war schon immer damit zu rechnen, daß er Nura heiratet. Wir müssen jetzt gehen. Ich helfe dir beim Packen.«
Es war zwecklos zu bleiben und sich noch länger quälen zu lassen. Christina ging ins Schlafzimmer und schlug die Vorhänge zurück. Sie wollte einen letzten Blick auf den Raum werfen, in dem sie so viele glückliche Nächte verbracht hatte. Warum mußte sie jetzt so empfinden -warum hatte sie sich bloß in Philip verliebt? Wenn sie ihn weiterhin gehaßt hätte, wäre sie jetzt überglücklich gewesen. Statt dessen fühlte sie sich, als sei das das Ende ihres Lebens.
Christina wollte nichts mitnehmen, was sie an Philip erinnerte, aber als sie den Spiegel sah, den Rashid ihr geschenkt hatte, dachte sie an Amine.
»Ich will mich nur noch von Amine verabschieden und ihr das hier geben«, sagte Christina, und sie hielt den Spiegel hoch. »Ich will nichts mitnehmen, was mich an diesen Ort erinnert. Aber Amine war mir eine gute Freundin, und ich möchte ihr gern etwas schenken. Das verstehst du doch, oder nicht?«
Christina weinte wieder, als sie Amine den Spiegel in die Hand drückte.
»Ich möchte dir das schenken. Denk immer daran, daß ich dich wie eine Schwester liebe. Ich gehe, und ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.«
»Wohin gehst du? Du kommst doch bald wieder?« fragte Amine, aber sie merkte bereits, daß sie die Freundin nie wiedersehen würde.
»Ich gehe zurück zu meinem Bruder, und ich komme nicht zurück. Du wirst mir fehlen, Amine. Du bist mir eine wirkliche Freundin gewesen.«
»Aber warum, Christina, warum?«
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Ich kann jedenfalls nicht hierbleiben. Sag Syed und seinen Brüdern Auf Wiedersehen von mir, und richte ihnen aus, daß ich ihnen alles Gute wünsche. Und
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