Die gefangene Braut
küß den kleinen Syed und das Baby von mir. Ich würde zu sehr heulen, wenn ich sie selbst küsse.« Sie lächelte Amine wehmütig an und schlang ihr dann die Arme um den Hals. »Ich werde oft an dich denken. Auf Wiedersehen.«
Christina lief zu Rashid, der die Pferde bereits geholt hatte. Sie ritten gemeinsam aus dem Lager, und nachdem sie einen letzten Blick zurückgeworfen hatte, grub Christina ihre Hacken in Ravens Flanken und drängte ihn zu einer selbstmörderischen Geschwindigkeit. Rashid schrie ihr nach, aber sie wartete nicht auf ihn. Sie wollte sterben. Sie hatte das Gefühl, nichts mehr im Leben zu haben, wofür es sich zu leben lohnte. Wenn sie in Philips Bergen starb, würde er vielleicht für den Rest seines Lebens Schuldgefühle haben. Aber warum sollte sie ihn erfahren lassen, daß sie nicht ohne ihn leben konnte? Es war nicht seine Schuld, daß er sie nicht mehr begehrte. Und sie liebte ihn immer noch. Sie hoffte, er würde mit Nura glücklich werden, wenn es das war, was er wollte.
Christina zügelte Raven und ritt in gemäßigtem Tempo weiter. Sie würde sich etwas anderes einfallen lassen, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Aber sie würde so lange damit warten, daß Philip nichts davon erfuhr. Sie dachte an Margiana und daran, daß sie sich wegen Yasir umgebracht hatte. Christina verstand jetzt wahrhaft die Qualen und die Leiden, die eine Frau empfinden konnte.
Die Hitze der Wüste nahm zu, doch Christina merkte nichts von alledem. Ihr war so elend zumute, daß ihr Körper nichts von außen wahrnahm. Sie konnte nicht verstehen, warum ihr das zustieß.
Die Nacht brach herein und ging vorüber, und die Sonne stieg wieder auf, aber Christina konnte keinen Frieden finden.
Fragen bestürmten sie. Sie durchforstete ihr Inneres, um Antworten zu finden, doch es gab keine Antworten. Warum – warum bloß wollte er sie nicht mehr? Sie war immer noch derselbe Mensch, der sie vor vier Monaten gewesen war. Sie sah auch noch genauso aus – nur ihre Gefühle hatten sich gewandelt. Warum hatte Philip ihr das angetan?
Lag es daran, daß sie ihm nachgegeben hatte? Hatte er sie weggeworfen, weil sie keine Herausforderung mehr darstellte? Aber das wäre nicht fair – und das konnte auch nicht der Grund sein, denn sonst hätte er sie schon vor einem Monat fortgeschickt.
Und was war mit dem letzten Monat? Es war eine wunderbare Zeit gewesen- so wunderbar und vollkommen in jeder Hinsicht. Philip hatte genauso glücklich und zufrieden gewirkt, wie sie es gewesen war. Er hatte mehr Zeit denn je mit ihr verbracht. Täglich war er mit ihr ausgeritten. Er hatte ihr von seiner Vergangenheit erzählt, hatte sich geöffnet und mehr von sich preisgegeben. Warum also war sie jetzt hier? Warum hatte Philip es sich anders überlegt? Warum nur? Warum?
Die Fragen ließen sie nicht schlafen. Sie lag wach da, als sie während der heißesten Zeit des Tages ruhten, und sie dachte und dachte im Kreis, aber sie konnte keinen Frieden finden. Sie nahm das Brot und das Wasser, das Rashid ihr gab und aß mechanisch, doch ihr Geist arbeitete weiter – drehte immer wieder alles um und betrachtete es von allen Seiten – und sie versuchte verzweifelt, eine Lösung zu finden. Wenigstens war auf die Dämmerung Verlaß, die einsetzte, wie sonst auch, und sie ritten weiter.
21
Verdammt, das wird wieder ein stickiger Tag, dachte John Wakefield gereizt, als er hinter seinem Schreibtisch saß und die Morgenpost durchsah. Es war Winter. Es war nicht ganz so heiß wie am Anfang, als er in dieses schreckliche Land gekommen war, aber in dieser letzten Woche ohne Regen waren die Tage warm und feucht gewesen. Dieses verfluchte Wetter ging ihm unter die Haut.
Wenigstens konnte er sich darauf freuen, heute abend Kareen Hendricks zu sehen. Die bezaubernde, hinreißende Kareen. John dankte seinem Glücksstern, daß er William Dawson dazu gebracht hatte, ihn letzte Woche in die Oper zu schleifen, denn andernfalls hätte er Kareen nicht kennengelernt.
Ein kalter Schauer überlief John, als er an die Hölle dachte, die er in seinen ersten drei Monaten in Ägypten durchlebt hatte. Aber alles hatte sich verändert, als er Crissys Brief bekommen hatte – sein Glück inbegriffen.
Es klopfte. »Was ist?« fauchte John.
»Ein Araber steht draußen. Er sagt, es geht um etwas Wichtiges«, sagte Sergeant Townson.
»Das sagen sie doch alle. Schicken Sie ihn rein, Townson.«
Als sich die Tür leise wieder schloß und John aufblickte, sah er einen
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