Die gefangene Braut
du nicht in Master Tommys Nähe bleiben willst. Aber du gehst nicht nach London. Du kannst zu meiner Schwester gehen, die in Benfleet arbeitet. Sie ist Köchin auf einem großen Anwesen, das einer Familie gehört, die so heißt wie der Mann, den du liebst.«
»Caxton?«
»Ja, aber dieser Philip Caxton kann kein Gentleman sein – nicht nach allem, was er getan hat.«
»Philips einziger lebender Angehöriger ist sein Bruder, und dieser Bruder lebt in London.«
»Gut, dann kannst du also hingehen und dort dein Kind bekommen. Victory heißt das Anwesen, glaube ich. Das hat Mavis mir erzählt. Und dort hast du Menschen, die sich um dich kümmern.«
»Aber was werden die Besitzer dazu sagen, daß ich mich dort aufhalte?« fragte Christina.
»Mavis sagt, der Gutsherr ist nie da – treibt sich immer auf den Meeren rum. Die vielen Dienstboten leben ganz allein in diesem großen Haus und haben nichts anderes zu tun, als es in Schuß zu halten.«
»Aber du hast mir schon früher von Mavis erzählt. Ich dachte, sie wohnt in Dover.«
»Dort hat sie auch bis vor sieben Monaten gewohnt. Der alte Koch von Victory ist gestorben, und Mavis hat ganz zufällig von dieser Stellung gehört. Der Gutsbesitzer zahlt recht gut. Er ist ein sehr reicher Mann. Mavis hat gesagt, er war so begeistert von ihrem Porridge, daß sie die Stelle bekommen hat. Es gab so viele Bewerber, daß sie wirklich Glück hatte, die Stelle zu kriegen. Ich werde ihr heute abend noch schreiben, damit sie weiß, daß du kommst. Dann kannst du packen und gleich morgen abreisen. Ich ginge gern mit, mein Liebes, aber dieses Haus steht auf dem Kopf, wenn ich nicht da bin.«
»Ich weiß, aber ich bin sicher, daß alles gut ist, wenn deine Schwester nach mir sehen kann.«
»Auch die Haushälterin, die sie dort haben, ist eine gutherzige Frau. Wenn du in guten Händen bist, brauche ich mir keine Sorgen um dich zu machen.«
Als Tommy am Abend kam, sagte Christina ihm nichts von ihrer Abreise. Sie überließ es Johnsy, ihn nach ihrer Abreise vor die vollendeten Tatsachen zu stellen.
Nach einer dreitägigen Reise traf Christina am Nachmittag auf dem riesigen Anwesen ein, das Victory genannt wurde. In der letzten halben Stunde waren sie bereits über das Land der Caxtons gefahren. Christina wurde klar, daß dieses Anwesen mindestens zweimal so groß wie Wakefield war. Ein prachtvolles, weitläufiges dreistöckiges Haus aus Sandstein, den Moos und Efeu bewuchsen, ragte vor ihr auf.
Christina war sehr nervös, weil sie niemanden dort kannte. Auf ihr zweimaliges Klopfen hin öffnete eine kleine, pausbäckige Frau, die sie mit einem warmen Lächeln begrüßte. Ihr schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchsetzt und im Nacken geknotet, und sie hatte freundliche graue Augen.
»Sie müssen Christina Wakefield sein. Kommen Sie rein – so kommen Sie doch. Ich bin Johnsys Schwester Mavis. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh wir sind, daß Sie hierhergekommen sind, um hier Ihr Baby zu bekommen«, sagte sie fröhlich, während sie Christina in die riesige Eingangshalle führte, die mindestens über zwei Stockwerke reichte. »Als der Bote heute morgen die Nachricht von Ihrem Kommen überbracht hat, ist dieses alte Haus wieder zum Leben erwacht.«
»Ich möchte keine Mühe machen«, sagte Christina.
»Unsinn, mein Kind! Wie sollten Sie uns zur Last fallen? In diesem Haus sind alle müßig, und Sie sind hier wirklich willkommen. Sie können hier bleiben, solange Sie wollen – ;je länger, desto lieber.«
»Vielen Dank«, erwiderte Christina.
Christina war von den Maßen des Hauses beeindruckt. »Ein so großes Haus habe ich noch nie gesehen – es ist schön hier.«
»Ja, so wie hier sieht es im ganzen Haus aus – groß und leer. Hier gehört eine Familie hinein, aber ich glaube nicht, daß ich das noch erleben werde. Der Gutsbesitzer scheint nicht heiraten und keine Kinder bekommen zu wollen.«
»Ach – er ist also noch jung?« Christina war überrascht. Sie hatte ihn sich alt und kränklich vorgestellt.
»Es heißt, er sei jung und verantwortungslos. Er zieht es vor, im Ausland zu leben, statt sich um sein Gut zu kümmern. Aber kommen Sie, nach dieser Reise in Ihrem Zu-
stand müssen Sie erschöpft sein. Ich bringe Sie jetzt in Ihr Zimmer, damit Sie sich vor dem Abendessen noch ausruhen können. Wissen Sie, Miß Christina, Ihr Baby wird seit zwei Generationen das erste Kind sein, das hier geboren wird. Die Haushälterin, Emma, hat mir erzählt, daß Lady
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