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Die Gegenpäpstin

Titel: Die Gegenpäpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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erschien mir grausam und ungerecht, daß es mir jetzt auch noch den Vater
     nahm. Mein Bruder ging kurz zuvor auf und davon, und es schmerzte mich, wie sehr ihn mein Vater vermißte. Er hatte sich nie
     mit meinem Bruder verstanden, weil dieser nicht das Leben eines reichen, satten Kaufmanns führen wollte, der nur darauf aus
     war, Geld anzuhäufen.«
    Ein Seufzer entwich ihren Lippen. Jaakov goß ein wenig Wein zum Wasser und gab ihr behutsam davon zu trinken.
    |65| »Ich werde nie vergessen, wie mein Vater in seinen letzten verwirrten Stunden nach ihm rief. Wie hätte ich ihm beibringen
     können, daß er seinen Jüngsten nun bei den Essenern suchen mußte, die weder Besitz noch Frauen duldeten und die sich gedanklich
     längst in einer jenseitigen Welt befanden, obwohl sie noch gar nicht gestorben waren. Dann wurde mein Vater zu Grabe getragen.
     Ich hatte nun niemanden mehr, der zu mir gehörte. Meine treuen Diener – ja. Aber keine Familie, auf die ich mich verlassen
     konnte.«
    Jaakov strich wie zum Trost über ihr Haar.
    »Nach der Beerdigung meines Vaters kam die Angst. Wie ein großer schwarzer Vogel überschattete sie mein Gemüt, und nach der
     Angst kam der Wahn, der die Seele zur Flucht antreibt, weil sie ahnt oder schlichtweg weiß, daß es da noch etwas anderes gibt
     als das unvollkommene irdische Leben voller Schmerzen und Leid. Immer öfter befiel mich das Gefühl, daß meine Seele den Körper
     verlassen könnte, ohne daß ich selbst starb. Eines Nachts war es soweit. Mir war übel. Ich erhob mich von meinem Lager, um
     etwas zu trinken. Dabei ließ ich mich auf einen Schemel nieder, und dann hörte ich eine überirdisch schöne Musik. Ohne Rücksicht
     auf meine Furcht zog mich etwas aus meiner sterblichen Hülle, wie eine Larve aus einem Kokon, und für einen Moment hatte ich
     das Gefühl, völlig außer mir zu sein. Ich starrte in Panik auf meinen kostbar verhüllten Leib. O großer Gott, hilf mir, schrie
     ich. Doch niemand konnte mich hören. Noch im gleichen Augenblick bin ich zurückgekehrt, aber danach war nichts mehr wie zuvor.
     Ich konnte fortan nicht mehr essen, nicht mehr schlafen, nur noch denken und nach Antworten suchen. Die Furcht, daß dieser
     Zustand bis an mein Lebensende bestehen bleiben würde, brachte mich schier um den Verstand. Kein Arzt, kein Priester und keine
     der weisen Frauen konnten mir helfen. Ich wäre verhungert, wenn Laissa, meine Dienerin, nicht die Idee gehabt hätte, deinen
     Bruder Jeschua zu rufen. In ihren Augen war |66|
er
der einzige, der Rettung versprach. Der Messias – so nannte man ihn. ›Seine Anhänger folgen seiner neuen Lehre‹, erklärte
     mir Laissa mit einem verschwörerischen Unterton in der Stimme.« Mirjam lächelte schwach. »Ich kannte ihn, dich, eure Familie.
     Ich konnte mir kaum vorstellen, wie dein Bruder mir hätte helfen wollen, all die Dämonen auszutreiben, die mich seit Monaten
     quälten.«
    »Und doch war es möglich«, wandte Jaakov mit dunkler Stimme ein. »Obwohl er wie ich nie zu deinesgleichen gehört hatte. Du
     lebtest in einem Palast, wir waren nur einfache Zimmerleute.«
    »Was bedeutet das schon?« Mirjam blickte auf. »Seit jenem Tag weiß ich es.
Seine
Augen haben es mir verraten. Um heil zu werden, braucht es weder Geld noch Gut.« Mirjam sah Jaakov durchdringend an und lächelte.
     »›Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund‹, sagte eine Stimme in meinem Kopf, und ich wiederholte diesen Satz im Angesicht
     deines Bruders, laut und ohne zu wissen, was er bedeutete. Ein Blick von
ihm
, eine Berührung und ein Wort waren genug, um mir mein Leben zurückzugeben. Ein Leben, das ohne
ihn
fortan keinen Sinn mehr gehabt hätte.«
    »Und fortan bist du ihm gefolgt und hast ihm und den seinen mit all deinem Besitz geholfen.«
    »Ich habe nichts weiter getan, als ein wenig von dem zurückzugeben, was
er
mir gab.«
    »Du hast
ihm
weit mehr gegeben als Geld.«
    »Eine Tochter, die ihm weit lieber war als jeder Sohn.«
    »Wir anderen haben uns immer gefragt, warum du soviel mehr verstanden hast als wir.«
    Mirjam richtete sich auf. »Weil ich in all meinem Unglück etwas gesehen hatte, etwas, das nur wenige Menschen sehen können,
     ohne daß sie sich ernsthaft darum bemühen.
Er
hat es mir erklärt. Und ich konnte es verstehen. Plötzlich wußte ich, daß wir Teil eines viel größeren Ganzen sind und daß
     unser irdisches |67| Dasein nur eine Stufe ist, auf dem Weg zu einem höheren Selbst.« Sie schwieg

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