Die Gegenpäpstin
gelernt habe. Mein Vater legte als Rabbiner stets Wert auf eine umfassende Erziehung, was
unseren Glauben und unsere jüdische Herkunft anging. Allerdings hat dieses Bemühen nicht dazu geführt, daß ich mich mit Leib
und Seele dem Judentum verschrieben habe. Sehr zu seinem Leidwesen, wie Sie sich vorstellen können.«
»Woran glauben Sie?« fragte der Deutsche unvermittelt. Eine sehr ungewöhnliche Frage, hier inmitten all der modernen Gerätschaften,
und das rote Licht, das auf Markerts Gesicht dunkelrote Schatten warf, verlieh der ganzen Situation eine beinahe filmreife
Atmosphäre.
»An nichts«, sagte Sarah und lächelte, als sie Markerts überraschte Miene erblickte. »Und an alles«, fügte sie rasch hinzu.
»Nennen Sie mich eine Agnostikerin. Solange nichts bewiesen ist, kann die Existenz eines Gottes möglich sein oder auch nicht.
Außerdem stelle ich mir immerzu die Frage, warum Gott ein Mann sein soll, dessen Namen man nicht einmal erwähnen darf, und
warum er im Alten Testament so oft als ein grausamer, strafender Herrscher auftritt, der nur die Menschen akzeptiert, die
bedingungslos seiner Lehre folgen.«
»Und was sagt Ihr Vater zu dieser Einstellung?«
»Er hat sich damit abgefunden«, erklärte Sarah, während sie ihre Handschuhe auszog und an einem der beiden Rechner Platz nahm,
um die zuvor erstellten digitalen Bilder auf eine CD zu kopieren. »Meine Mutter war ähnlich gestrickt wie ich. Warum sie |58| sich ausgerechnet in einen Rabbi verliebt hat, ist mir immer noch schleierhaft.«
Markert lächelte. »Volker, mein Partner, und ich haben uns im Seminar kennengelernt und unser Schicksal nicht zuletzt mit
Hilfe unseres Glaubens geteilt.« Er schaute sie nicht an, sondern beobachtete den Bildschirm, während er neben Sarah Platz
nahm.
»Nehmen Sie es mir nicht übel«, erwiderte Sarah. »Ich könnte mir so manches vorstellen, aber ein Priester käme für mich als
Ehepartner nicht in Frage. Es würde mich irritieren, wenn jemand sein Leben einer Sache widmet, die allein vom Glauben getragen
wird.«
Auf dem Bildschirm erschienen nun Zeile für Zeile die eingescannten Schriften. Während Sarah die Worte überflog, gab sie Markert,
der seine Spannung kaum unterdrücken konnte, einen ersten Eindruck ihres Inhalts. Eine komplette Übersetzung würde wahrscheinlich
etliche Wochen in Anspruch nehmen.
Anscheinend handelte es sich bei dem Text um eine Art Lebensgeschichte. Möglicherweise hatten sie eine umfassende Dokumentation
über das Leben einer vor knapp zweitausend Jahren verstorbenen Frau entdeckt. Nein, nicht irgendeiner Frau. Wenn sich die
ersten Hinweise bewahrheiteten, ging es bei den Schriften um Maria von Magdala oder Mirjam von Taricheae, wie sie in Fachkreisen
auch genannt wurde. Jedes einzelne Dokument war mit einem merkwürdig verschlungenen Monogramm gekennzeichnet, das tatsächlich
auf Jakobus, einen Bruder Jesu und den späteren Bischof von Jerusalem, hindeutete.
Ein paar Jahre zuvor hatte es einen mächtigen Wirbel um das sogenannte Jakobus-Ossarium gegeben, einer Art steinerne Knochenkiste.
Allerdings hatte kein Wissenschaftler den Beweis erbringen können, daß es sich bei den aufgefundenen Knochen tatsächlich um
die sterblichen Überreste des Jakobus handelte. Was wäre, wenn herauskäme, daß eben jener Jakobus nicht wie angenommen im
Kidron-Tal bestattet worden war und auch nicht unter |59| einer Kirche in Jerusalem seine letzte Ruhe gefunden hatte? Was wäre, wenn er statt dessen seit zweitausend Jahren in einer
geheimen Höhle im Innern des Jebel Tur’an neben seiner vermeintlichen Schwägerin in einem schlichten Sarkophag gelegen hatte?
»Eine forensische Analyse seiner Gebeine wird vermutlich auch das an den Tag bringen«, bemerkte Sarah. »Wer weiß, vielleicht
hat der aufgefundene Tote in der Kammer die Zeilen tatsächlich selbst geschrieben?«
»Haben Sie eine Ahnung, was dieser Fund für die Christenheit bedeutet, wenn er sich als echt herausstellen sollte?« Markert
schaute Sarah mit ernster Miene an.
»Ja, Herr Kollege, ich denke schon.« Sie hob den Kopf, zusehends fasziniert. »Selbst wenn ich nicht viel davon verstehe, hege
ich höchsten Respekt vor dem, was anderen Menschen heilig ist. Allerdings stellt sich zunächst die Frage, was die Radiokohlenstoffdatierung
erbringt. Bevor wir nicht wissen, wie alt die Funde wirklich sind, ist alles nur Spekulation.«
Sarah richtete ihren Blick erneut auf den
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