Die geheime Braut
her unter.
Vor ihm stand die nackte Staffelei.
Das Gemälde war verschwunden.
*
Sie konnte kaum atmen, weil etwas in ihrem Mund steckte. Und alles um sie herum war dunkel und rau.
Woher kam dieses harte Rucken und Poltern, das ihr in jeden Knochen fuhr?
Sie versuchte, Arme und Beine zu bewegen, doch das war unmöglich, denn sie waren gefesselt. Der Kopf dröhnte, schien auf doppelte Größe angeschwollen.
Fühlte sich so Sterben an?
Erst nach und nach begann ihr Verstand wieder zu arbeiten.
Doch als sie erkannt hatte, in welcher Lage sie war, sehnte sie beinahe die gnädige Ohnmacht von vorhin wieder herbei.
Man hatte einen alten Sack über sie gestülpt, und jemand schob sie in einer Schubkarre eiligst über holpriges Pflaster.
FÜNFZEHN
F ÜNFZEHN
M uhme Lene und Hansi waren gerade aufgestanden und genossen den frühen Morgen, als die Stute das Luther-Haus erreichte. Erschrocken sahen die alte Frau und der kleine Junge, wie der Reiter mit der dunklen Maske abstieg und Bini, die vor ihm gesessen hatte, aus dem Sattel half. Dann kam schon Tölpel aus der Tür geschossen, der die beiden kläffend umkreiste.
»Was hat das zu bedeuten, Bini?« Die Muhme wich zurück und zog Hansi enger an sich. »Jener Mann – und du?«
»Ihr müsst keine Angst haben«, sagte Bini. »Er wird Euch nichts tun, darauf habt Ihr mein Wort. Weckt den Herrn und die Herrin! Susanna gehe ich selbst holen.«
Sie wandte sich nach ihrem Begleiter um.
»Du bist bereit für die Wahrheit?«, fragte sie leise.
»Das bin ich.« Die helle Seite seines Gesichts zuckte.
»Dann warte hier! Ich bin gleich zurück.«
Sie rannte ins Haus, die Treppe hinauf, öffnete die Tür zur Kammer – und war verwundert, sie leer vorzufinden. Auf dem Strohsack lag eine zerknüllte Decke, und die kleine Ölfunzel fehlte, ebenso Susannas Rosenkranz.
War sie bereits so früh in den Stall gegangen, um die Tiere zu versorgen? Doch wozu hätte sie dann ihren wertvollsten Besitz mitnehmen sollen?
Bini lief wieder hinunter, überquerte den Hof und schaute in den Stall, doch auch dort war Susanna nirgendwo zu entdecken.
»Sie hat die Ziegen nicht gemolken«, klagte Muhme Lene. »Und auch den Schweinen kein Futter gegeben. Nicht einmal die Hühner, die sie sonst niemals vergisst, hatten ihre Körner. Scheint, als sei Susanna in größter Eile aufgebrochen. Weißt du, wo sie stecken könnte?«
Bei Jan, hätte Bini beinahe gesagt. Doch saß der nicht im Loch?
Ein seltsames Gefühl stieg in ihr auf, eng und angstvoll, das sie am liebsten sofort wieder weggedrängt hätte.
»Sie kommt bestimmt bald wieder«, sagte sie und tauschte mit dem Mann hinter ihr einen raschen Blick. »Es sei denn …«
Hatte sie zu lange gewartet, um ihn zum Reden zu bringen, und damit Susanna gefährdet?
Inzwischen befanden sie sich im einstigen Refektorium.
Luther kam die Treppe heruntergepoltert, das Hemd halb in die Hose gesteckt, das Wams schief zugeknöpft. Ihm folgte, das Haar nur nachlässig geflochten, Katharina, die ebenfalls erst im Gehen die letzten Ösen ihres Mieders zuschnürte.
»Wen schleppst du mir da ins Haus?«, rief Luther aufge bracht. »Bist du wahnsinnig geworden? Sollen wir alle durch seine Hand sterben?«
Der Mann mit der Maske deutete eine Verneigung an.
»Ich danke Euch, dass Ihr mich empfangt«, sagte er. »Mein Name ist Falk von Thorau, und wir müssen dringend miteinander reden.«
»Warum sollte ich das tun?« Luthers Augen waren schmal geworden. Er stellte sich vor Katharina, um sie zu schützen. »Mir ist Entsetzliches über Euch zu Ohren gekommen. Falls auch nur die Hälfte davon wahr sein sollte, wird man Euch hängen.«
»Ja, Entsetzliches ist geschehen«, sagte Falk. »Und ich habe zweifach Schuld auf mich geladen. Doch mit den Morden habe ich nichts zu tun.«
»Das würde ich an Eurer Stelle auch behaupten«, rief Ka tharina, die inzwischen mit blitzenden Augen neben ihrem Mann stand. Sie streckte ihre Hand aus, als wollte sie Falk von Thorau damit bannen. »Wenn Ihr mir zu nahe kommt, schreie ich ganz Wittenberg zusammen. Die Wache des Kurprinzen hat ein Auge auf dieses Haus. Das solltet Ihr wissen!«
»Hört ihn Euch doch erst einmal an!«, bat Bini. »Seine Geschichte kann Licht ins Dunkel bringen.«
»Dann redet!«, befahl Luther.
»Ich bin der dritte Sohn des Landgrafen Hain von Thorau. Götz, mein ältester Bruder und somit der Erbe, hat den Großteil des väterlichen Besitzes verspielt und versoffen. Mehr als einmal habe ich
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