Die geheime Braut
hin und her, auf der ein Bild stand, so klein, dass sie ganz nah kommen musste, um zu erkennen, was es darstellte.
Dann jedoch stockte Susanna der Atem.
Sie kannte die Frau, die Jan gemalt hatte. Allerdings nicht so. Denn Margaretha Relin, die Apothekersgattin, war splitternackt dargestellt.
Jan erwachte wie aus tiefer Versenkung.
»Was tust du hier?«, fuhr er Susanna an. »Und wer hat dir erlaubt, mir nachzuspionieren?«
»Bild dir bloß nichts ein!«, sagte sie und merkte selbst, wie dünn ihre Verteidigung klang. »Ich suche die Cranachin. Für meine kranke Freundin.«
»Die Meisterin? Mitten in der Nacht? Und ausgerechnet hier? Etwas Besseres ist dir wohl nicht eingefallen! Warum kannst du nicht ein einziges Mal die Wahrheit sagen, Susanna? Das würde einer ehemaligen Nonne weitaus besser zu Gesicht stehen – falls du mich damit nicht auch schon belogen hast.«
Für eine Lügnerin hielt er sie also. Für eine Lügnerin und Diebin dazu.
Scham und Zorn schnürten ihr den Hals zu. Sie drehte sich um und wollte nur noch weg.
»Hast du jetzt gesehen, was du sehen wolltest?« Er hatte sie gepackt, ließ sie nicht mehr los. »Bist du endlich zufrieden?«
»Lass mich sofort los, du Unhold!« Sie trat gegen sein Schienbein. »Du tust mir weh!«
»Und wenn schon!« Sein Griff war wie aus Eisen. »Du wirst brav den Mund halten, verstanden? Oder besser noch: alles aus deinem Kopf streichen, was du hier gesehen hast. Sonst lernst du mich kennen. Schwörst du das?«
Sie nickte.
»Gut.« Jan ließ sie frei. »Es gibt gewisse Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht für jedermanns Augen bestimmt sind …«
»Aber das ist doch Margaretha«, flüsterte sie. »Margaretha Relin – ganz ohne Kleider!«
»Ist sie nicht.« Jans Tonfall war entschieden.
»Jetzt lügst du.«
»Was bildest du dir ein?«, fuhr er sie an. »Schleichst dich mitten in der Nacht in die Werkstatt, beäugst Bilder, die dich nichts angehen, und besitzt dann auch noch die Frechheit …«
Das war genug.
Susanna lief zur Tür, drückte sie auf und rannte hinaus in die Nacht.
Erst als der Marktplatz schon ein ganzes Stück hinter ihr lag, kam sie wieder zur Besinnung.
Wieso musste sie nur so leichtsinnig sein? Jetzt kam sie ohne Arznei für die kranke Bini zurück ins Schwarze Kloster.
Unschlüssig drehte sie sich einmal um die eigene Achse.
Sollte sie noch einmal zurücklaufen und so lange herumkrakeelen, bis sich eine Tür auftat und ihr doch noch geholfen wurde? Oder zur Heiligen Jungfrau beten und darauf setzen, dass Bini mit deren Hilfe wieder gesund würde?
Während sie noch am Grübeln war, roch sie den Atem des großen Flusses, all die Algen und den Schlick, den die nächtliche Elbe mit sich führte. Für einen Moment schloss sie die Lider, um nach innen zu horchen, die richtige Entscheidung zu fällen – als ihr jemand von hinten einen Strick um den Hals schlang und zuzog.
Hatte ihr da einer im Schatten der Hofeinfahrt aufgelauert?
Noch im letzten Moment konnte Susanna zwei Finger zwischen Strick und Haut schieben, doch dieser Jemand besaß überraschend große Kraft und zog immer fester.
Sie stöhnte und röchelte, trat um sich und versuchte, sich zu befreien, aber vergebens. Vor ihren Augen tanzten Sterne, in den Ohren erklang ein helles Rauschen, und die Luft wurde ihr knapp. Sie spürte, wie etwas Scharfes ihre Kehle hinaufschoss und sie zu ersticken drohte. Da ließ der Angreifer plötzlich von ihr ab und stürzte in die Dunkelheit davon.
Dieser Geruch – ein Leben lang würde sie sich daran erinnern!
Plötzlich glaubte Susanna, nicht mehr atmen zu können.
Würgend erbrach sie sich in die Gosse.
Dann ließen laute Schritte sie zusammenfahren. Kam der Mann etwa noch einmal zurück, um sein Verbrechen zu vollenden?
»Hab den elenden Hundsfott leider nicht mehr erwischt«, hörte sie Jan keuchen. »Schau mich an, Susanna: Hat er dir sehr wehgetan?«
FÜNF
F ÜNF
W ie fauliger Dunst kroch die Kunde von dem Überfall auf Susanna in alle Ritzen, und schon bald kursierten die unterschiedlichsten Varianten in Wittenberg. Väter sorgten sich um ihre Töchter, Ehemänner ließen ihre Frauen kaum noch aus dem Haus. Ein ungesundes Klima von Furcht und gereizter Wachsamkeit verbreitete sich, das nach Entladung schrie. Vor allem die Studenten bekamen das zu spüren, die plötzlich in zahlreichen Gasthäusern nicht mehr gern gesehen waren und festgenommen wurden, sobald sie angetrunken zu randalieren begannen.
Susanna war
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