Die geheime Braut
was konnte es hier nur gewesen sein?
Sosehr Susanna auch ihr Hirn zermarterte, ihr wollte kein plausibler Grund einfallen, und Bini hatte nichts gesagt, was einen Anhaltspunkt ergeben hätte. Susanna starrte auf das gerötete, leicht verschwollene Gesicht der Kranken, die zu schielen schien, sobald sie die Augen aufmachte, so matt war sie inzwischen. Die winzigen Pünktchen auf Nase und Wangen, die sonst eher wie ein blasser Sternenschweif aussahen, waren dunkler geworden und hatten sich auf geheimnisvolle Weise vermehrt.
Wo mochte sie gesteckt haben?
Hatte Bini, die sich sonst stets in den Schatten flüchtete, weil ihr leicht schwindelig wurde, sich lange Zeit ungeschützt den Strahlen der heißen Frühlingssonne ausgesetzt?
Nichts davon machte Sinn.
Doch Bini glühte immer stärker.
»Ich weiß mir keinen Rat mehr«, räumte Katharina schließlich ein. Da war es schon lange dunkel. »Kalte Wickel helfen nicht, ebenso wenig wie Lindenblütentee oder mein vielfach bewährter Essigstrumpf. Wenn ich jetzt nicht endlich wenigstens ein paar Stunden Schlaf habe, bekomme ich morgen kein Bein mehr aus dem Bett.«
»Aber wir können sie doch hier nicht einfach so liegen las sen!«, sagte Susanna verzweifelt. »Bini ist der einzige Familien ersatz, den ich noch habe. Wenn sie stirbt …« Sie biss sich auf die Lippen.
»Du musst zum Markt laufen«, sagte die Muhme auf einmal. Vor lauter Müdigkeit war ihr Gesicht noch winziger als sonst. »Und den Apotheker herausklopfen. Relin ist ein alter Fuchs, was Krankheiten betrifft. Und sein junges Weib inzwischen fast ebenso bewandert wie er. Das sagen sie wenigstens.«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?« Susanna sah sie ungläubig an. »Allein?«
»Was sonst?« Muhme Lene schien ungerührt. »Mein Rücken trägt mich nicht mehr, Katharina muss bei den Kindern bleiben, und Luther …«
»Nein!«, rief Susanna. »Bloß nicht er!« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich meine nur, der geschätzte Herr Reformator …«
»… schnarcht ohnehin längst friedlich vor sich hin.« Ka tharina streckte sich. »Wenn mein Martin einmal schläft, dann bekommt ihn nicht einmal die lauteste Feuerglocke wieder wach.« Sie gähnte herzhaft. »Also, worauf wartest du noch?«
Und so musste Susanna, die die Dunkelheit wie den bö sesten Feind verabscheute, sich allein auf den Weg zum Markt begeben. Sie rannte nicht, das hatte sie sich vorgenommen, aber ging doch zügig, den Blick auf den holprigen Weg vor sich gerichtet, den die Ölfunzel nur notdürftig erhellte, die Ohren nach allen Seiten gespitzt.
An die Geräusche der Nacht musste sie sich erst gewöhnen. Seit sie nicht mehr im Kloster lebten, waren sie ihr halbwegs vertraut, und doch war es unterwegs immer wieder vorgekommen, dass sie bei einem Eulenschrei zusammenzuckte, während Bini sich auf die andere Seite gedreht und seelenruhig weitergeschlafen hatte.
Hier, in der Stadt, war alles anders.
Waren da nicht schwere Schritte hinter ihr?
Ein tiefes Seufzen, das aus einem halb geöffneten Fenster drang und zum Innehalten veranlasste?
Oder jenes merkwürdige Knarren ganz in der Nähe, als atme Holz aus?
Susanna war unwillkürlich immer schneller geworden. Irgendwann erreichte sie erhitzt den Marktplatz.
Heute beleuchtete kein Mondlicht die steinernen Fassaden. Die Häuserfront vor ihr war dunkel, einer uneinnehmbaren Festung gleich, die alles und jeden abwehrte.
Sie nahm ihren Mut zusammen, ging zum Apothekerhaus und ließ den kupfernen Klopfer fest gegen das Holz krachen.
Einmal, zweimal, dreimal.
Alles blieb ruhig.
Susanna wiederholte ihren Versuch.
Gleiches Ergebnis.
Allerdings bemerkte sie, dass sich über ihr ein Fenster öffnete und sogleich wieder schloss.
Weil man seine Ruhe haben wollte?
Oder weil man sie erkannt hatte und mit einer einfachen Magd nichts weiter zu tun haben wollte?
Was nur sollte sie anstellen, um Bini zu retten?
In wachsender Verzweiflung ging sie nach nebenan. Auch das Cranach-Haus war dunkel, und als sie klopfte, tat sich dort ebenso wenig wie zuvor in der Apotheke.
Aber da gab es ja noch immer die Werkstatt …
Susannas Füße trugen sie in den gepflasterten Hof, so zielsicher, als wäre sie dort zu Hause.
Licht drang durch die Türritze. Da war zumindest eine menschliche Seele, der sie sich mitteilen konnte!
Sie schluckte alle Bedenken hinunter und drückte auf die Klinke.
Inmitten eines wahren Lichtermeeres aufgestellter Kerzen erkannte sie Jan. Er tänzelte vor einer Staffelei
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