Die geheime Braut
falsches Wort zur falschen Zeit – und alles, was man in Jahrzehnten mühsam aufgebaut hat, kann auf einen Schlag verloren sein.« Er zupfte an seinem Rock aus schwarzem Tuch, der viel zu warm war für den lauen Frühlingsabend. »Überlass also das Reden mir. Du hältst die Augen auf und machst ein freundliches Gesicht, das ist mehr als genug.«
»Ich soll Kurprinzessin Sibylle also heute noch gar nicht zeichnen?« Jan klang enttäuscht. »Wozu schleppe ich dann Papier und Kreide mit?«
»Weil es niemals schaden kann, für alle Fälle gerüstet zu sein. Aber wir sind Leute, die wissen, was sich gehört, und fallen niemals mit der Tür ins Haus.« Cranach hörte sich selbstgefällig an. »Ich gebe den Ton vor. Du sprichst nur, wenn du gefragt wirst – und dann überlegst du dir jedes Wort, verstanden? Und verbeug dich ordentlich, wenn du auf die Hoheiten triffst, das darfst du nicht vergessen!«
Als Cranach und Jan den kleinen Festsaal betraten, stach unter allen Anwesenden der Kurprinz hervor, so hoch gewachsen und wohlbeleibt, dass man unwillkürlich an einen Bären denken musste. Er trug ein geschlitztes Wams aus grünem Samt, das sein fülliger Körper zu sprengen drohte, eine pludrige Hose, die ihn noch korpulenter wirken ließ, und breite Lederschuhe, nach der neuesten Mode gefältelt.
Die beiden Maler verbeugten sich.
»Cranach!«, sagte der Kurprinz lächelnd, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatten. »Welche Freude, Euch in Wittenberg begrüßen zu dürfen! Mein geliebtes Weib hat schon den ganzen Tag nach Euch gefragt, so aufgeregt ist sie, wieder Modell zu sitzen.«
Er drehte sich um und winkte zwei junge Frauen heran, die auf den ersten Blick wie Schwestern wirkten.
»Sibylle – der Meister ist da! Jetzt könnt Ihr alles mit ihm bereden.«
Jan blieb beinahe der Mund offen stehen.
Die eine der beiden, offensichtlich die blutjunge Kurprinzessin, denn unter ihrem golddurchwirkten Mieder wölbte sich der hochangesetzte Rock bereits verräterisch, war nach gängigen Idealen eine Schönheit. Die andere dagegen besaß ein apartes Dreiecksgesicht und die neugierigsten Augen, die er jemals an einem Weib gesehen hatte. Direkt in sein Herz schien sie zu blicken, und was sie da sah, gefiel ihr offenbar, oder es belustigte sie zumindest, denn die fein gezeichneten Lippen kräuselten sich zu einem amüsierten Lächeln.
»Dilgin von Thann, meine Hofdame«, stellte die Kur prinzessin vor. »Von all meinen Damen im Frauenzimmer ist sie mir mit Abstand die liebste.« Sie winkte einen Diener mit einem Tablett heran. »Trinkt einen Schluck, meine Herren! Danach redet es sich leichter.«
Cranach und Jan nippten nur am Wein, der dunkel und schwer war, sodass er leicht zu Kopf stieg.
»Wie lange werdet Ihr Wittenberg die Ehre Eurer Anwesenheit zuteilwerden lassen, Euer Hoheit?«, erkundigte sich Cranach.
Der Kurprinz runzelte die Stirn. Schon jetzt wich das Haar stark zurück, obwohl er erst in den Zwanzigern war.
»Wir hatten in etwa an einen Monat gedacht«, sagte er. »Bevor die Sommerhitze einsetzt und das Reisen beschwerlich macht, müssen wir zurück in Torgau sein. Aber es kommt natürlich …«, er begann zu hüsteln, »… vor allem auf das Befinden der Kurprinzessin an. Ihre Gesundheit ist im Augenblick unser heiligstes Anliegen.«
Sibylle schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er beugte sich über ihre Hand und küsste sie zärtlich.
Sie lieben sich wirklich, dachte Jan erstaunt. Das Reh und der Bär, eine gestiftete Ehe – und dann so viel echte Zuneigung zwischen den beiden, die sich auf ihr erstes Kind freuen.
Dilgin von Thanns neugierigem Blick war der Beutel, der Jan von der Schulter baumelte, nicht entgangen.
»Was schleppt Ihr denn da alles mit Euch herum?«, fragte sie keck.
»Material«, sagte Jan. »Kreide, Papier … was man eben so braucht.«
»Dann seid Ihr also der Träger des Meisters?«, setzte sie nach.
»Ich bin sein Stellvertreter«, korrigierte Jan mit scharfem Unterton. »Eingeweiht in alle gegenwärtigen und geplanten Vorhaben.«
»Allerdings«, pflichtete Cranach bei. »Mein Geselle besitzt ein unbestechliches Auge und eine sichere Hand. Gerade was Zeichnungen betrifft, kann ihm kaum jemand etwas vor machen.«
»Meine Gemahlin soll allerdings in Öl gemalt werden«, warf der Kurprinz ein. »Und zwar von keinem anderen als Euch, Meister Cranach.«
»Selbstredend.« Cranach verbeugte sich abermals. »Meine geflügelte Schlange wird Euer Bild zieren. Doch als
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