Die geheime Braut
erneut reizen, was er jedoch zu verhindern wusste. »Da hatte ich mir aber mehr vorgestellt – sehr viel mehr!«
»Geh!«, sagte er und bedeckte sich. »Es ist genug.«
»Genug?« Dilgin kicherte wie ein albernes Mädchen. »Das zu bestimmen, mein Lieber, ist heute gewiss nicht an dir.«
Sie sprang auf und schaute sich in der Kammer um. Dann entdeckte sie auf einer Truhe Zunder und Feuerstein, die sie ihm zuwarf.
Er fing beides geschickt auf.
»Kerzen!«, verlangte sie. »Und zwar alle, die du auftreiben kannst.«
»Weshalb?«
»Das wirst du schon sehen.«
Als Jan keinerlei Anstalten machte aufzustehen, ging sie selbst auf die Suche und förderte schließlich fünf zum Teil allerdings schon reichlich abgebrannte Kerzen zutage.
»Du wirst dich beeilen müssen«, sagte Dilgin, als schließlich alle in einer Reihe flackerten. »Denn wenn es hell wird, muss ich wieder zurück sein. Ich stehe dir nur einmal Modell – heute Nacht.«
»Ich soll dich zeichnen?«
»Was sonst?« Sie lehnte sich an die Tür, den rechten Arm ausgestreckt, das linke Bein neckisch gebeugt. »Träumst du nicht schon seit Langem davon?«
»Hast du keine Angst?«
»Sollte ich? Ich weiß doch genau, dass diese Blätter deine Kammer niemals verlassen werden, wenn dein Leben dir lieb ist. Das macht mich mutig und frei.« Ihr Fuchsgesicht war forscher denn je, die Nixenaugen funkelten erwartungsvoll.
Sie war so reizvoll in ihrer anmutigen Verdorbenheit, dass Jan nicht anders konnte, als zur Kreide zu greifen und zu zeichnen. Wie im Rausch warf er Skizzen ihres nackten Leibes aufs Papier, wie im Rausch präsentierte Dilgin sich ihm in immer neuen Positionen. Es war ein Fieber, das sie beide verband, intimer als der Kontakt ihrer Körper zuvor.
»Jemand will dich auf einem Gemälde als nackte Thalia sehen«, sagte Jan, als sein Furor nachließ. An Material für das Ölbild hatte er mehr als genug. Jetzt flackerte nur noch ein letzter Kerzenstumpf. »Und er ist bereit, sündig viel Geld dafür zu bezahlen.«
»Thalia?«, wiederholte Dilgin und spreizte lasziv die Schenkel. »Wer soll das sein? Und weshalb ist sie nackt?«
»Eine Tochter des Zeus«, erwiderte Jan. »Zusammen mit Aglaia und Euphrosyne gehört sie zu den drei Grazien. Sie tragen keine Kleider, weil sie ganz wahrhaftig sind und nichts zu verbergen haben.«
»Das mit der Wahrhaftigkeit gefällt mir«, sagte Dilgin. »Und zu verbergen habe ich auch nichts. Aber zum Trio tauge ich sicherlich nicht. Muss ich dir das extra zuflüstern? Schon eine Zweite neben mir wäre bereits zu viel. Findest du mich denn nicht ganz und gar einmalig?« Ihre rosige Zungenspitze erschien zwischen ihren Lippen. »Und jetzt gib bloß die richtige Antwort!«
»Und wenn ich dich doch als nackte Thalia malen würde – was dann?«
Plötzlich hielt sie eine Scherbe in der Hand und drückte sie an seinen Hals. Sie musste von dem Becher stammen, der ihm vor ein paar Tagen hinuntergefallen war.
»Die Kehle würde er dir durchschneiden«, sagte sie, während die scharfe Tonkante seine Haut ritzte. Es brannte. Und begann heftig zu bluten. »Und zwar auf der Stelle. Wenn du bereit bist, auf diese Weise für mich zu sterben, dann …«
»Hör sofort auf! Damit spaßt man nicht.« Er presste die Hand an den Hals, um die Blutung zu stillen.
Dilgin ließ die Scherbe achtlos fallen.
»Ich spaße nicht«, sagte sie. »Ich spaße niemals. Wer ist es denn, der dieses wahnwitzige Ansinnen stellt?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
»Du kannst nicht – oder du willst nicht?« Sie berührte seinen Arm.
»Beides. Und jetzt lass mich in Frieden!«
Scheinbar gehorsam wandte sie sich ab, beugte sich vor und hielt den Kerzenstummel näher über die Blätter.
»Das bin ich?«, murmelte sie nach einer Weile. »So also siehst du mich. Und ich dachte, ich wäre eine Göttin für dich.« Sie sagte es wie nebenbei, aber ihre Stimme klang bitter. »Doch gezeichnet hast du bloß ein neugieriges nacktes Mädchen, das einsam aussieht – beinahe verloren.«
Jan war so erschöpft, dass er kaum noch antworten konnte. Seine Finger waren blutverschmiert, aber das kümmerte ihn jetzt nicht weiter.
»Ich muss schlafen«, sagte er. »Sonst bin ich morgen früh in der Werkstatt wie tot.«
»Damit hast du ausnahmsweise recht.« Wie ein Kätzchen rollte sie sich neben ihm zusammen.
»Geh!«, sagte er leise. »Du kannst nicht hierbleiben. Du musst zurück ins Schloss.«
»Nur noch ein wenig ausruhen. Das wirst du doch erlauben,
Weitere Kostenlose Bücher