Die geheime Braut
in einer halb geöffneten Tür ein Arm, der ihn näher winkte.
Mit bleiernen Beinen ging Jan auf die Tür zu, die wie von einem Windstoß bewegt hinter ihm ins Schloss fiel.
Vor ihm stand der Mann in Schwarz – Hades!
»Ich dachte, ich würde den Meister heute Abend zu Gesicht bekommen«, sagte er. »Aber ich habe mich offensichtlich geirrt.«
Jan kannte die Stimme. Er hatte sie schon einmal gehört.
Der Mann mit der dunklen Metallmaske in dem verborgenen Zimmer – er und kein anderer stand vor ihm!
»Meister Cranach war leider unabkömmlich«, sagte Jan und ärgerte sich darüber, wie dünn seine eigene Stimme klang. »Ich bin sein Stellvertreter.«
Der Mann in Schwarz nickte.
»Sein Stellvertreter?«, wiederholte er. »So werdet Ihr es auch sein, der ihm die Botschaft überbringt. Es geht um die dritte der Grazien – Euphrosyne, auch Frohsinn genannt. Katharina soll Modell dafür stehen.«
Es dauerte eine Weile, bis Jan verstand, was der andere soeben gesagt hatte.
»Katharina?«, wiederholte er ungläubig. »Aber Ihr meint doch nicht etwa Katharina von Bora?«
Der Mann in Schwarz nickte wieder, dieses Mal ungeduldig.
»Genau die. Und jetzt geht! Mich rufen andere Aufgaben.«
»Die Frau des Reformators? Ihr müsst wahnsinnig geworden sein!«, sagte Jan.
»Da mögt Ihr vielleicht sogar recht haben.« Ein kurzes, knarrendes Lachen. »Aber noch fehlt ja die zweite Grazie. Spannt meine Geduld nicht mehr allzu lange auf die Folter! Die Zeit wird allmählich knapp. Richtet das dem Meister ebenfalls aus!«
»Niemals, hört Ihr?«, rief Jan. »Niemals!«
»Niemals ist solch ein großes Wort.« Hinter der Maske klang die Stimme leicht verwaschen. »Früher habe ich es oft gesagt, meistens bedenkenlos, aus einer Laune heraus. Heute scheue ich mich davor. Vielleicht wird es Euch eines Tages ähnlich ergehen.«
»Wer seid Ihr?«, fragte Jan unvermittelt. »Und was wollt Ihr?«
»Das Letztere habe ich Euch gerade gesagt.« Ein Seufzen. »Das Erstere wollt Ihr gar nicht wirklich wissen, glaubt mir!«
Er machte eine rasche Drehung, als wolle er nach nebenan verschwinden, doch Jan war zu aufgebracht, um ihn einfach so gehen zu lassen.
»Wenn Meister Cranach keine Fragen stellt, so ist das seine Sache«, rief Jan und packte den Schwarzen fest am Arm. »Ich aber bin Jan Seman – und ich frage!«
Der andere riss sich los. Dabei löste sich die Samtmaske und fiel zu Boden. Auf einer Gesichtshälfte schimmerte blankes Metall.
»Wer seid Ihr?«, schrie Jan. »Satan höchstpersönlich?«
»Der Teufel?« Ein gellendes Lachen, das jäh wieder erstarb. »Wie recht Ihr doch habt! Ja, ich bin der Teufel.«
Jan erhielt einen Fausthieb in den Magen, der ihm den Atem nahm, und er krümmte sich zusammen. Als er sich wieder aufrichtete, war der Mann in Schwarz verschwunden.
Noch immer leicht benommen taumelte Jan aus dem Zimmer, den Gang entlang, bis ihm auffiel, dass er sich immer weiter vom Festsaal entfernte.
Wo steckte Dilgin?
Wahrscheinlich war sie längst zu den Feiernden zurückgekehrt und machte Jagd auf neue Beute.
Er ordnete sein seltsames Gewand, das ihm absurder denn je erschien, zog den nutzlosen Dolch aus dem Gürtel und warf ihn in eine Ecke.
Plötzlich stutzte er.
Die Tür vor ihm stand einen Spalt offen. Als er sie weiter aufstieß, war es wie in seinen Träumen. Dilgin lag bis auf ihre Maske nackt auf einem Ruhebett, die Schenkel leicht geöffnet, die Augen geschlossen wie im friedlichsten Schlaf. Eine aschblonde Locke war auf ihre Brust gefallen und hob und senkte sich im Rhythmus ihres Atems. Die Frau schien wie aus hellem Marmor gemeißelt: makellos, schamlos und überaus verführerisch.
War es bloße Einbildung – oder hörte er tatsächlich das ferne Murmeln eines Gewässers?
Unwillkürlich glitt Jans Hand zur Schulter, doch heute war der Beutel mit den Zeichenutensilien, den er sonst ständig mit sich herumschleppte, ausnahmsweise in der Werkstatt zurückgeblieben.
»Hast du jemals eine schönere Frau erblickt?«, fragte Dilgin, ohne die Augen zu öffnen.
»Nein«, sagte Jan mit enger Kehle.
»Nein? Dann komm zu mir und überzeuge dich!«, forderte sie ihn auf. »Harmonia erwartet dich.«
Seltsamerweise konnte er plötzlich seinen Fuß nicht bewegen, und er hätte im gleichen Augenblick vor Schmerz beinahe laut aufgeschrien.
Denn eine Stiefelsohle nagelte ihn erbarmungslos an Ort und Stelle fest.
»Wer bist du?«, schnitt eine barsche Stimme in sein Ohr.
»Ein … Jäger«,
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