Die geheime Braut
nach allem, was zwischen uns war? Oder willst du mich jetzt etwa vor die Tür setzen wie eine räudige Hündin?«
*
Da war ein Geräusch, das Susanna aus dem Schlaf riss, ein lautes wütendes Schnauben.
Sie kannte es. Sie hatte es bereits mehrmals gehört.
Sie erhob sich, warf einen Blick auf Bini, die neben ihr leise schnarchte, hüllte sich in ein Tuch und ging nach unten.
Das ganze Luther-Haus lag in tiefem Schlaf.
Es würde dauern, bis sie jemanden wachgerüttelt hätte, um ihr beizustehen.
Im Gehen griff sie nach dem kleinen Talglicht, das auf einer alten Truhe neben der Tür flackerte. Katharina stellte es Nacht für Nacht dorthin.
Den Grund dafür behielt sie jedoch für sich.
Um böse Geister abzuschrecken?
Es gab viele in Wittenberg, die dem ehemaligen Schwarzen Kloster alles andere als wohlgesonnen waren – und erst recht seinen Bewohnern. Drei Studenten hatten das erst heute verlegen mit hochrotem Kopf eingestanden, als sie ganz überraschend Kost und Logis aufkündigten, weil ihre Familien nicht länger mit dieser Unterbringung einverstanden waren.
Der ehemalige Mönch, der sich gegen Kaiser und Papst erhoben hatte, und die entflohene Nonne – in buhlerischer Zweisamkeit vereint, der zu allem Überfluss auch noch gesunde Kinder entsprossen waren! In halb Europa herrschte Empörung deswegen, und die Zahl der Befürworter der protestantischen Bewegung wuchs nicht rasch genug, um einen wahren Ausgleich zu bewerkstelligen.
Dabei schienen Luther und seine Katharina wie geschaffen füreinander, gerade in ihrer Gegensätzlichkeit. Und jeder von beiden war bereit, für den anderen einzustehen, ohne Für und Wider.
Ein Lächeln huschte über Susannas Gesicht, als sie daran dachte, wie Luther die Ärmel seines Talars aufgekrempelt hatte, um beim Einfangen des Ebers zu helfen, und wie sein Gesicht vor Schweiß und Stolz glänzte, als der Ausbrecher schließlich wieder sicher im Stall verwahrt war. Ausführlich hatte er seinem Sohn erklärt, wie gefährlich und nützlich zugleich solch ein Tier sei.
Hansi!
Susanna wurde klamm zumute, als sie an den Kleinen dachte, der die Augen nicht von dem Eber lassen konnte. Er würde sich doch nicht heimlich aus dem Bett geschlichen haben, um ihn im Stall zu besuchen?
Inzwischen ging sie so schnell, dass sie Seitenstechen bekam, die Funzel auf den unebenen Grund vor sich ge richtet.
Ihr Fuß stieß an etwas Weiches, und noch bevor sie es richtig erkannte, wusste sie bereits, was es war.
Hansis schmutziger blauer Hase – unmittelbar vor dem Schweinestall.
Ihr Herz drohte stillzustehen.
Aber das konnte doch nur bedeuten, dass der Frechdachs …
Sie rannte hinein, den Hasen an sich gedrückt.
»Hansi!«, rief sie. »Johannes! Bist du da? Rühr dich nicht von der Stelle! Susanna kommt, um dich zu holen.«
Es war warm. Der Gestank nach Gülle wurde überlagert von den kräftigen dunklen Ausdünstungen des Ebers.
Und noch ein weiterer widerlicher Geruch hing in der Luft, aber das konnte, das durfte nicht sein …
Als Susanna sich umdrehte, um Gewissheit zu bekommen, erhielt sie von der Seite einen kräftigen Stoß.
Sie stolperte nach vorn.
Das Gatter, hinter dem der Eber schnaubte, war nur angelehnt gewesen. Jetzt hörte sie, wie es hinter ihr zuschnappte.
Das Talglicht war ihr aus der Hand gefallen. Womöglich würde es binnen Kurzem das überall herumliegende Stroh entzünden, doch das war erst ihr dritter Gedanke.
Wo war das Kind?
Und wo steckte der, der ihr nach dem Leben trachtete? Verborgen im Dunkel, um sich daran zu weiden, wie ein wild gewordenes Tier sie zerriss – und den Kleinen mit dazu?
»Hansi?«, rief Susanna wieder, aber leiser, weil sie endgültig begriff, dass sie in eine Falle gelockt worden war.
Dem Eber schien es ganz und gar nicht zu behagen, den engen Raum mit ihr teilen zu müssen. Seine Hauer erschienen ihr riesig, viel schärfer und bedrohlicher als am helllichten Tag.
Er schnaubte abermals, laut und ungeduldig. Dann schlugen seine Eckzähne aufeinander – ein dumpfes, bedrohliches Geräusch, das Susanna durch und durch ging.
Immer näher kam er. Wollte er sie zerfleischen?
War das der Plan dieses Wahnsinnigen, der nun schon zum dritten Mal nach ihrem Leben trachtete?
Angst packte Susanna wie eine eisige Hand, schnürte ihr die Kehle zu, trieb ihr das Wasser in die Augen.
Eine falsche Bewegung – und die Hauer des Ebers würden ihr das Bein aufschlitzen.
Ob frisch fließendes Blut ihn noch wütender machte?
Aber
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