Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
in der Tür. Eine schwarz behandschuhte Hand lag auf dem Türknopf, und er schaute mich an wie einen Wahnsinnigen.
Ich hörte auf zu zappeln und ließ mich auf mein Kissen zurückfallen. Ich war so froh, ihn zu sehen, daß ich am liebsten gelacht hätte, und ich war so zugedröhnt, daß ich es wahrscheinlich tat. »François «, sagte ich idiotisch.
Er schloß die Tür und kam zu mir ans Bett; hier blieb er stehen und schaute auf mich herab. Er war es wirkliche – Schnee im Haar, Schnee auf den Schultern des langen schwarzen Mantels. »Fehlt dir auch nichts?«« fragte er nach einer langen, spöttischen Pause.
Ich rieb mir die Augen und versuchte es noch einmal. »Hi«, sagte ich. »Entschuldigung. Mir geht’s prima. Wirklich.«
Er stand da und schaute mich ausdruckslos an, ohne zu antworten. Dann zog er den Mantel aus und legte ihn über eine Stuhllehne. »Möchtest du einen Tee?« fragte er.
»Nein.«
»Na, ich werde welchen machen, wenn du nichts dagegen hast.«
Als er zurückkam, war ich mehr oder weniger wieder ich selbst. Er stellte den Wasserkessel auf die Heizung und nahm sich ein paar Teebeutel aus meiner Schreibtischschublade. »Hier«, sagte er, »du kannst die gute Teetasse nehmen. In der Küche war keine Milch.«
Es war eine Erleichterung, ihn dazuhaben. Ich setzte mich auf, trank meinen Tee und sah zu, wie er Schuhe und Strümpfe auszog und zum Trocknen vor die Heizung legte. Seine Füße waren lang und schmal, zu lang für seine schlanken, knochigen Knöchel. Er krümmte und streckte die Zehen und sah mich an. »Es ist eine furchtbare Nacht«, sagte er. »Bist du draußen gewesen?«
Ich erzählte ihm ein bißchen von der Nacht, sagte aber nichts von dem Mädchen.
»Herrje«, sagte er, griff an seinen Kragen und lockerte ihn. »Ich
hab’ bloß in meinem Apartment rumgesessen. Hab’ mich selbst ganz fertiggemacht.«
»Von jemandem gehört?«
»Nein. Meine Mutter hat gegen neun angerufen, aber ich konnte nicht mit ihr reden. Hab’ ihr gesagt, ich müßte eine Hausarbeit schreiben.«
Aus irgendeinem Grund wanderte mein Blick zu seinen Händen, die, ohne daß es ihm bewußt war, nervös an meinem Schreibtisch herumnestelten. Er sah, daß ich es sah, und zwang sich, sie flach auf die Tischplatte zu legen.
»Nerven«, sagte er.
Eine Zeitlang saßen wir da, ohne zu reden. Ich stellte meine Teetasse auf die Fensterbank und lehnte mich zurück. Das Demerol hatte so etwas wie einen gespenstischen Doppler-Effekt in meinem Kopf losgehen lassen, wie das Sirren von Autoreifen, das vorbeijagt und in der Ferne verschwindet. Ich starrte wie im Nebel quer durchs Zimmer – wie lange, weiß ich nicht –, als mir nach und nach bewußt wurde, daß Francis mich mit einem intensiven, gebannten Gesichtsausdruck anschaute. Ich murmelte irgend etwas und stand auf, um mir ein Alka-Seltzer aus der Schublade zu holen.
Die jähe Bewegung machte mich schwindlig. Dumpf stand ich da und überlegte, wo ich die Schachtel hingelegt hätte, als ich ganz plötzlich merkte, daß Francis unmittelbar hinter mir stand. Ich fuhr herum.
Sein Gesicht war dicht vor meinem. Zu meiner Überraschung legte er mir die Hände auf die Schultern, beugte sich vor und küßte mich mitten auf den Mund.
Es war ein richtiger Kuß – lang, ausgedehnt, absichtsvoll. Er hatte mich aus dem Gleichgewicht gebracht, und ich packte seinen Arm, um nicht zu fallen; scharf sog er die Luft ein, und seine Hände fuhren über meinen Rücken hinunter, und ehe ich mich versah – küßte ich ihn wieder. Seine Zunge war rauh. Sein Mund hatte einen bitteren, männlichen Geschmack von Tee und Zigaretten.
Er löste sich schwer atmend von mir und beugte sich vor, um meinen Hals zu küssen. Ich blickte wie wild im Zimmer umher. O Gott, dachte ich, was für eine Nacht.
»Hör mal, Francis«, sagte ich, »laß das.«
Er knöpfte meinen Hemdkragen auf. »Du Idiot«, sagte er kichernd, »wußtest du, daß du dein Hemd links herum anhast?«
Ich war so müde und trunken, daß ich wieder zu lachen anfing. »Komm, Francis«, sagte ich, »verschone mich.«
»Es macht Spaß«, sagte er. »Ich versprech’s dir.«
Die Sache schritt fort. Meine paralysierten Augen begannen sich zu regen. Seine Augen wirkten vergrößert und boshaft hinter seinem Kneifer. Jetzt nahm er ihn ab und warf ihn abwesend auf meine Kommode, wo er klappernd hinfiel.
Da klopfte es, ganz unerwartet, wieder an der Tür. Wir sprangen auseinander.
Francis fluchte leise und biß sich in
Weitere Kostenlose Bücher