Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Himmel war grau, und ein eisiger Wind wehte vom Mount Cataract herunter.
Ich kaufte mir einen Milkshake in der Snackbar und ging dann nach Hause. Als ich den Gang entlang zu meinem Zimmer ging, lief ich Judy Poovey über den Weg.
Sie funkelte mich an. Anscheinend hatte sie einen bösen Kater, und sie hatte schwarze Ringe unter den Augen.
»Oh, hallo«, sagte ich und wollte mich an ihr vorbeischieben. »Sorry.«
»Hey «, sagte sie.
Ich drehte mich um.
»Du bist also gestern abend mit Mona Beale nach Hause gegangen ?«
Einen Moment lang wußte ich nicht, was sie meinte. »Was?«
»Wie war’s denn?« sagte sie biestig. »War sie gut?«
Verdattert zuckte ich die Achseln und wollte weitergehen.
Zu meinem Ärger folgte sie mir und hielt mich beim Arm fest. »Sie hat einen Freund, weißt du das? Du solltest beten, daß es ihm niemand erzählt.«
»Ist mir doch egal.«
»Im letzten Semester hat er Bram Guernsey zusammengeschlagen, weil er dachte, Bram hätte sie angemacht.«
»Sie war diejenige, die mich angemacht hat.«
Sie warf mir einen katzenhaften Seitenblick zu. »Na ja, ich meine, sie ist schon ein bißchen nuttig.«
Kurz bevor ich aufwachte, hatte ich einen schrecklichen Traum.
Ich war in einem großen, altmodischen Badezimmer – wie in einem Zsa-Zsa-Gabor-Film, mit goldenen Armaturen und Spiegeln und pinkfarbenen Kacheln an den Wänden und auf dem Boden. Ein Goldfischglas stand auf einem spindelbeinigen Piedestal in der Ecke. Ich ging hinüber, um es mir anzusehen; meine Schritte hallten auf den Fliesen, und dann hörte ich ein gemessenes plink plink plink, das vom Wasserhahn über der Badewanne kam.
Auch die Badewanne war pinkfarben, und sie war voll Wasser, und Bunny lag vollständig bekleidet und regungslos auf dem Grund. Seine Augen waren offen, die Brille saß schief, und seine Pupillen waren verschieden groß – die eine weit und schwarz, die andere kaum ein Stecknadelkopf. Das Wasser war klar und still. Das Ende seiner Krawatte schwebte unter der Wasseroberfläche.
Plink plink plink. Ich konnte mich nicht bewegen. Und dann hörte ich plötzlich Schritte herankommen und Stimmen. Entsetzen durchströmte mich, als ich erkannte, daß ich den Toten irgendwie verstecken mußte; ich wußte nicht, wo. Ich tauchte die Hände ins eisige Wasser, packte ihn unter den Armen und versuchte ihn herauszuziehen, aber es ging nicht, es ging nicht. Der Kopf rollte haltlos nach hinten, und der offene Mund füllte sich mit Wasser ...
Ich kämpfte mit seinem Gewicht, taumelte rückwärts. Das Goldfischglas fiel herunter und zerschellte auf dem Boden, und Goldfische floppten zu meinen Füßen inmitten der Glasscherben. Jemand hämmerte an die Tür. In meinem Entsetzen ließ ich den Leichnam los, und er fiel mit gräßlichem Klatschen ins Wasser zurück, daß es aufspritzte. Ich wachte auf.
Es war fast dunkel. Ein furchtbares, unregelmäßiges Hämmern erfüllte meine Brust, als wäre da ein großer Vogel hinter meinen Rippen gefangen und flatterte sich nun zu Tode. Nach Luft schnappend, lag ich im Bett.
Als das Schlimmste vorbei war, setzte ich mich auf. Ich zitterte am ganzen Leibe und war schweißgebadet. Lange Schatten, Alptraumlicht. Ich sah ein paar Kinder, die draußen im Schnee spielten, schwarze Silhouetten vor einem grausigen, lachsfarbenen Himmel. Ihr Schreien und Lachen hatte auf diese Entfernung etwas Wahnsinniges an sich. Ich bohrte mir die Handballen heftig in die Augen. Milchige Flecken, nadelspitze Lichtpunkte. O Gott, dachte ich.
Das Tosen und Rauschen der Toilette war so laut, daß ich dachte, es werde mich verschlucken. Es war genau wie immer, wenn mir mal schlecht gewesen war, wenn ich mich betrunken übergeben hatte, in den Toiletten von Tankstellen und Kneipen. Die gleiche alte Vogelperspektive: diese komischen kleinen Knöpfe am Fuße der Toilette, die man sonst nie bemerkte, das schwitzende Porzellan, das Vibrieren der Wasserleitung, das langgezogene Gurgeln des Wassers, wenn es spiralförmig ablief.
Als ich mir das Gesicht wusch, fing ich an zu weinen. Die Tränen mischten sich mühelos mit dem kalten Wasser in dem leuchtenden, tropfenden Dunkelrot meiner gewölbten Hände, und erst war mir gar nicht bewußt, daß ich weinte. Das Schluchzen war regelmäßig und emotionslos, mechanisch wie das trockene Würgen, das einen Augenblick zuvor aufgehört hatte – es gab keinen Grund dafür, und es hatte nichts mit mir zu tun. Ich hob den Kopf und schaute mit einer Art von
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