Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
Henry trocken.
»Was kosten die Dinger überhaupt?« fragte Bunny.
Keine Antwort.
»Komm schon. Wieviel? Dreihundert Eier das Stück?« Er lehnte sich mit seinem ganzen beträchtlichen Gewicht an den Tisch. »Ich weiß noch, daß du immer gesagt hast, wie häßlich sie doch wären. Du hast immer gesagt, du würdest nie im Leben mit was anderem als einer einfachen Feder schreiben. Stimmt’s?«
Schweigen.
»Laß mich noch mal sehen, ja?« sagte Bunny.
Henry legte sein Buch hin, griff in die Brusttasche, zog den Füller heraus und legte ihn auf den Tisch. »Da«, sagte er.
Bunny nahm ihn und drehte ihn zwischen seinen Fingern hin und her. »Er ist wie die dicken Griffel, die ich in der ersten Klasse benutzt habe«, sagte er. »Hat Julian dich dazu überredet?«
»Ich wollte einen Füller haben.«
»Aber deshalb hast du dir nicht diesen hier gekauft.«
»Ich hab’s satt, darüber zu reden.«
»Ich finde es geschmacklos.«
»Du«, erwiderte Henry scharf, »hast hier nicht über Geschmack zu reden.«
Es folgte langes Schweigen; Bunny lehnte sich auf einem Stuhl zurück. »Na, was für Stifte benutzen wir denn hier alle so?« fragte er dann im Plauderton. »François, du bist ein Feder-und-Tinte-Mann wie ich, nicht wahr?«
»Mehr oder minder.«
Er deutete auf mich, als wäre er der Moderator einer Podiumsdiskussion oder einer Talkshow. »Und du, wie heißt du gleich, Robert? Was für Schreibgeräte hat man euch in Kalifornien zu benutzen beigebracht?«
»Kulis«, sagte ich.
Bunny nickte tiefsinnig. »Ein ehrlicher Mann, Gentlemen. Schlichter Geschmack. Legt seine Karten offen auf den Tisch. Gefällt mir.«
Die Tür ging auf, und die Zwillinge kamen herein.
»Was brüllst du hier, Bun?« fragte Charles lachend und warf die Tür mit dem Fuß hinter sich ins Schloß. »Wir haben dich durch den ganzen Korridor gehört.«
Und Bunny ließ die Geschichte von dem Montblanc-Füller vom Stapel. Voller Unbehagen verdrückte ich mich in die Ecke und fing an, die Bücher im Regal zu betrachten.
»Wie lange hast du die Klassiker studiert?«« fragte jemand neben mir. Es war Henry, der sich auf seinem Stuhl umgedreht hatte und mich ansah.
»Zwei Jahre«, sagte ich.
»Was hast du auf griechisch gelesen?«
»Das Neue Testament.«
»Nun, selbstverständlich hast du Koine gelesen«, sagte er ungehalten. »Aber was noch? Homer doch sicher. Und die lyrischen Dichter.«
Dies war Henrys spezielles Revier, das wußte ich. Ich traute mich nicht zu lügen. »Ein bißchen.«
»Und Platon?«
»Ja.«
»Den ganzen Platon?«
»Etwas Platon.«
»Aber alles in Übersetzungen.«
Ich zögerte – einen Augenblick zu lange. Er sah mich ungläubig an. »Nicht? «
Ich bohrte die Hände in die Taschen meines neuen Mantels. »Das meiste«, sagte ich, und das war alles andere als die Wahrheit.
»Das meiste wovon? Die Dialoge, meinst du? Und was ist mit späteren Werken? Plotinus?«
»Ja«, log ich. Ich habe bis zum heutigen Tag kein einziges Wort von Plotinus gelesen.
»Und was?«
Unglückseligerweise war mein Kopf plötzlich leer, und mir fiel nichts ein, von dem ich sicher wußte, daß Plotinus es geschrieben hatte. Die Eklogen? Nein, verdammt, das war Vergil. »Ehrlich gesagt, mir liegt nicht viel an Plotinus«, behauptete ich.
»Nein? Warum nicht?«
Er war wie ein Polizist mit seinen Fragen. Wehmütig dachte ich an mein altes Seminar, das ich hierfür aufgegeben hatte: »Einführung ins Drama« bei dem munteren Mr. Lanin, der uns auf dem Boden liegen und Entspannungsübungen machen ließ, während er
umherspazierte und etwa sagte: »Jetzt stellt euch vor, euer Körper füllt sich mit einer kühlen, orangefarbenen Flüssigkeit.«
Ich hatte die Plotinus-Frage für Henrys Geschmack nicht schnell genug beantwortet. Er sagte kurz etwas auf latein.
»Wie bitte?«
Er sah mich kalt an. »Nicht so wichtig«, sagte er und beugte sich wieder über sein Buch.
Um meine Fassungslosigkeit zu verbergen, wandte ich mich dem Bücherregal zu.
»Zufrieden?« hörte ich Bunny sagen. »Schätze, du hast ihn ziemlich ordentlich durch die glühenden Kohlen geschleift, he?«
Zu meiner großen Erleichterung kam Charles herüber, um hallo zu sagen. Er war freundlich und ruhig, aber wir hatten kaum mehr als einen Gruß gewechselt, als die Tür aufging und es still wurde. Julian schlüpfte herein und schloß die Tür leise hinter sich.
»Guten Morgen«, sagte er. »Sie haben unseren neuen Studenten bereits kennengelernt?«
»Ja«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher