Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
– glattwangig, weichhäutig, wohlgebildet und reich. Es war seine eigentümliche Blindheit, denke ich, für alle Probleme persönlicher Natur, die ihn befähigte, am Ende sogar Bunnys ganz beträchtliche Nöte in spirituelle Sorgen zu verwandeln.
Ich wußte damals wie heute buchstäblich nichts über Julians Leben außerhalb der Schule, und vielleicht verlieh gerade dieser Umstand allem, was er sagte oder tat, einen so verlockenden Hauch des Geheimnisumwobenen. Ohne Zweifel hatte er im Privatleben ebenso viele Schwächen wie jeder andere auch, aber die einzige Seite, die er uns jemals von sich sehen ließ, war derart auf Hochglanz poliert, daß es den Anschein hatte, als müsse er zu Hause ein so erlesenes Leben führen, daß ich es mir nicht einmal vorstellen konnte.
Natürlich war ich daher ungeheuer neugierig, zu sehen, wo er wohnte. Es war ein großes Steinhaus auf einer Anhöhe, meilenweit abseits der Hauptstraße, umgeben von Bäumen und Schnee, so
weit das Auge reichte – imposant genug, aber nicht halb so imposant und riesig wie Francis’ Haus. Ich hatte wundersame Geschichten über seinen Garten gehört, und auch über das Innere des Hauses – attische Vasen, Meißener Porzellan, Gemälde von Alma-Tadema und Frith. Aber der Garten war tief verschneit, und Julian war anscheinend nicht zu Hause; zumindest öffnete er nicht.
Henry schaute den Hang hinunter zu uns, die wir im Wagen warteten. Er holte ein Stück Papier aus der Tasche und kritzelte ein paar Worte darauf; dann faltete er es zusammen und steckte es in den Türspalt.
»Sind Studenten bei den Suchtrupps?« fragte Henry auf dem Rückweg nach Hampden. »Ich will da nicht hingehen, wenn wir uns damit auffällig benehmen. Andererseits kommt es mir ziemlich gefühllos vor, sich einfach nach Hause zu verziehen, meint ihr nicht auch?«
»Was kostet ein Fernsehapparat?« fragte Henry auf dem Heimweg.
»Wieso?«
»Weil ich heute abend die Nachrichten sehen möchte.«
»Ich glaube, die sind ziemlich teuer«, meinte Francis.
»In Monmouth steht ein Apparat auf dem Dachboden«, sagte ich.
»Gehört er jemandem?«
»Bestimmt.«
»Na«, sagte Henry, »wir bringen ihn zurück, wenn wir fertig sind.«
Francis paßte auf, während Henry und ich auf den Dachboden stiegen und zwischen kaputten Lampen, Pappkartons und häßlichen Ölgemälden aus den Kunst-I-Kursen herumstöberten. Schließlich fanden wir den Fernsehapparat hinter einem alten Kaninchenstall und schleppten ihn die Treppe hinunter zu Henrys Auto. Dann fuhren wir zu Francis.
Wir stellten den Fernsehapparat auf Francis’ Eßtisch und fummelten daran herum, bis wir ein anständiges Bild hatten. Die Schlußtitel von »Petticoat-Junction« rollten eben vorbei, und dahinter sah man den Wasserturm in Hooterville und den Cannonball Express.
Als nächstes kamen die Nachrichten. Während die Titelmusik ausgeblendet wurde, erschien in der linken Ecke des Sprechertisches ein kleiner Kreis, und darin war das stilisierte Bild eines Polizisten mit einer leuchtenden Taschenlampe, der einen aufgeregten
Hund an der Leine zurückhielt; darunter stand das Wort GROSSFAHNDUNG.
Die Nachrichtensprecherin schaute in die Kamera. »Hunderte suchen, Tausende beten«, sagte sie, »während die Suche nach dem Studenten Edmund Corcoran vom Hampden College in der Umgebung von Hampden beginnt.«
Das Bild wechselte zu einem Schwenk über ein dichtbewaldetes Gelände; ein Suchtrupp, von hinten gefilmt, stocherte mit Stöcken im Unterholz, und der deutsche Schäferhund, den wir schon gesehen hatten, jauchzte und kläffte uns vom Bildschirm entgegen.
»Über hundert Freiwillige«, erzählte eine Stimme aus dem Off, »kamen heute morgen zusammen, um den Studenten des Hampden College bei der Suche nach einem Kommilitonen zu helfen, der seit Sonntag nachmittag verschwunden ist. Bis jetzt gibt es keine Spur von dem vierundzwanzigjährigen Edmund Corcoran aus Shady Brook, Connecticut, aber ActionNews Twelve hat soeben einen wichtigen telefonischen Hinweis erhalten, und die Behörden meinen, daß sich hier ein neuer Ansatzpunkt ergeben könnte.«
»Was?« fragte Charles den Fernseher.
»Wir schalten jetzt um zu Rick Dobson, live am Ort des Geschehens.«
Im nächsten Moment sah man einen Mann in einem Trenchcoat und mit einem Mikrofon in der Hand; er schien vor einer Tankstelle zu stehen.
»Den Laden kenne ich«, sagte Francis und beugte sich vor. »Das ist ›Redeemed Repair‹ am Highway Six.«
»Pst!« machte
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