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Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)

Titel: Die geheime Geschichte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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derjenige, der zu den unmöglichsten Zeiten in diesem verdammten Revier herumsitzen und Kaffee trinken mußte; ich mußte versuchen, sie dazu zu bringen, daß sie mich mochten, verstehst du, mußte sie davon überzeugen, daß wir alle bloß eine Bande von ganz normalen Kids wären. Das gleiche gilt für das FBI, und mit denen war es noch schlimmer. Ich mußte alle decken, verstehst du, mußte immer auf der Hut sein und genau das Richtige sagen und mein Bestes tun, um die Sache von ihrem Standpunkt aus einzuschätzen; und man mußte immer genau den richtigen Ton bei diesen Leuten treffen und durfte ihn nicht eine Sekunde lang fallenlassen, mußte mitteilsam und offen sein, aber auch besorgt, weißt du, und gleichzeitig überhaupt nicht nervös; dabei konnte ich kaum eine Tasse hochheben, ohne Angst zu haben, daß ich alles verschütten würde, und ein- oder zweimal war ich derart in Panik, daß ich dachte, ich kriege ein Blackout oder einen Breakdown oder so was. Weißt du, wie schwer das war? Glaubst du, Henry würde sich dazu herablassen, so etwas zu tun? Nein. Es war
natürlich ganz in Ordnung, daß ich es tat, aber er konnte sich damit nicht abgeben. Diese Leute hatten so was wie Henry im Leben noch nicht gesehen. Ich sage dir, über was für Sachen er sich den Kopf zerbrochen hat. Zum Beispiel, ob er das richtige Buch mit sich rumschleppte, ob Homer einen besseren Eindruck machen würde als Thomas von Aquin. Er war wie ein Ding von einem anderen Planeten. Wenn sie sich allein an ihn hätten halten müssen, dann hätte er uns alle in die Gaskammer gebracht.«
    Ein Holzlaster rumpelte vorbei.
    »Gütiger Gott«, sagte ich schließlich; ich war ganz erschlagen. »Ich bin froh, daß ich davon nichts wußte.«
    Er zuckte die Achseln. »Tja, das kannst du wohl sagen. Es ist ja alles gut ausgegangen. Aber es paßt mir immer noch nicht, wie er versucht, mich herumzukommandieren.«
    Lange Zeit gingen wir weiter, ohne etwas zu sagen.
    »Weißt du schon, wo du den Sommer verbringen wirst?« fragte Charles schließlich.
    »Ich habe noch nicht viel darüber nachgedacht«, sagte ich; ich hatte von der Sache mit Brooklyn noch nichts gehört, so daß ich allmählich glaubte, sie habe wohl nicht geklappt.
    »Ich fahre nach Boston«, sagte Charles. »Francis’ Großtante hat ein Apartment in der Marlboro Street. Nur ein paar Häuser weit vom Public Garden entfernt. Sie fährt den Sommer über aufs Land, und Francis meinte, wenn ich da wohnen wollte, könnte ich’s.«
    »Klingt nett.«
    »Ist ein großes Haus. Wenn du willst, kannst du mitkommen.«
    »Mal sehen.«
    »Es würde dir gefallen. Francis wird in New York sein, aber er kommt manchmal rauf. Warst du schon mal in Boston?«
    »Nein.«
    »Wir gehen ins Gardner-Museum. Und in die Piano-Bar im Ritz.«
    Er erzählte mir von einem Museum in Harvard, irgendein Haus, in dem es eine Million verschiedene Blumen gäbe, allesamt aus buntem Glas, als plötzlich und mit alarmierender Rasanz ein gelber Volkswagen von der Gegenfahrbahn herumschleuderte und knirschend neben uns zum Stehen kam.
    Es war Judy Pooveys Freundin Tracy. Sie kurbelte das Fenster herunter und schenkte uns ein strahlendes Lächeln. »Hallo, Jungs«, sagte sie. »Mitfahren?«
    Sie setzte uns bei Charles zu Hause ab. Es war zehn Uhr. Camilla war nicht zu Hause.
    »Gott«, sagte Charles und wand sich aus der Jacke; sie fiel zerknüllt auf den Boden.
    »Wie fühlst du dich?«
    »Betrunken.«
    »Willst du einen Kaffee?«
    »Da ist welcher in der Küche«, sagte Charles; er gähnte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Was dagegen, wenn ich bade?«
    »Nur zu.«
    »Es dauert nur ’ne Minute. Die Zelle war saudreckig. Ich glaube, ich hab’ vielleicht Flöhe.«
    Es dauerte mehr als eine Minute. Ich hörte, wie er nieste, Heiß-und Kaltwasserhahn aufdrehte, vor sich hin summte. Ich ging in die Küche, goß mir ein Glas Orangensaft ein und schob eine Scheibe Rosinenbrot in den Toaster.
    Als ich im Schrank nach Kaffee suchte, fand ich hinten auf dem Bord ein halbvolles Glas Horlick’s Malzmilch. Das Etikett starrte mich vorwurfsvoll an. Bunny war der einzige von uns gewesen, der je Malzmilch trank. Ich schob das Glas ganz nach hinten, hinter einen Krug Ahornsirup.
    Der Kaffee war fertig, und ich war bei meinem zweiten Toast, als ich einen Schlüssel im Schloß hörte; dann ging die Wohnungstür auf. Camilla steckte den Kopf in die Küche.
    »Hallo, du«, sagte sie. Ihr Haar war in Unordnung, ihr Gesicht blaß und

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