Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
gezogen; aber nach der ersten richtigen Pause sagte ich: »Jetzt möchte ich dich etwas fragen.«
Er zündete sich eine neue Zigarette an, ließ das Feuerzeug klikkend zuschnappen und zog die Brauen zusammen. »Was denn?«
Ich hatte zwar mehrere Möglichkeiten erwogen, diese Frage zu formulieren, aber im Interesse der Klarheit erschien es mir am ratsamsten, direkt zur Sache zu kommen. »Glaubst du, Charles und Camilla schlafen miteinander?«
Er hatte gerade den Rauch tief in die Lunge gesogen. Als er meine Frage hörte, schoß er ihm auf dem falschen Weg durch die Nase heraus.
»Glaubst du das?«
Er hustete. »Wie kommst du auf eine solche Frage?« brachte er schließlich hervor.
Ich erzählte ihm, was ich an diesem Morgen erlebt hatte. Er hörte zu, und seine Augen waren rot und tränten noch vom Rauch.
»Das bedeutet nichts«, sagte er. »Er war wahrscheinlich noch betrunken.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.«
Er legte die brennende Zigarette in den Aschenbecher. »Also schön«, sagte er blinzelnd. »Wenn du meine Meinung hören willst ... Ja. Ich glaube, manchmal tun sie es.«
Es war lange still. Francis schloß die Augen und rieb sie mit Daumen und Zeigefinger.
»Ich glaube nicht, daß es etwas ist, was allzu häufig vorkommt«, sagte er. »Aber man kann nie wissen. Bunny hat immer behauptet, er hätte sie mal erwischt.«
Ich starrte ihn an.
»Das hat er Henry erzählt, nicht mir. Ich kenne leider die Einzelheiten nicht. Anscheinend hatte er einen Schlüssel, und du weißt ja, wie er immer hereinplatzte, ohne anzuklopfen – jetzt komm«, sagte er, »du mußt doch so was geahnt haben.«
»Nein«, sagte ich, obwohl ich natürlich doch etwas geahnt hatte, und zwar seit ich ihnen das erstemal begegnet war. Ich hatte es meiner eigenen perversen Phantasie zugeschrieben, irgendeiner degenerierten Gedankenverirrung, einer Projektion meines eigenen Verlangens – weil er ihr Bruder war, weil sie sich furchtbar ähnlich sahen und weil der Gedanke an die beiden zusammen neben den erwartungsgemäßen Zuckungen von Neid, Skrupeln, Überraschung noch ein anderes, sehr viel schärferes Gefühl von Erregung mit sich brachte.
Francis sah mich aufmerksam an. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß er genau wußte, was ich dachte.
»Sie sind sehr eifersüchtig aufeinander«, sagte er. »Er noch viel mehr als sie. Ich fand es immer kindlich bezaubernd, weißt du, rein verbales Gepolter, und sogar Julian hat sie immer damit aufgezogen - ich meine, ich bin ein Einzelkind, und Henry ebenfalls; was verstehen wir also von diesen Dingen? Wir haben uns immer darüber unterhalten, wieviel Spaß es machen würde, eine Schwester zu haben.« Er gluckste. »Mehr Spaß, als einer von uns es sich vorstellen konnte, scheint mir«, sagte er. »Ich finde es auch gar nicht so schrecklich – vom moralischen Standpunkt aus betrachtet, meine ich –, aber es ist nun ganz und gar nicht eine so beiläufige, natürlich gute Sache, wie man sich vielleicht erhoffen könnte. Es ist doch sehr viel tiefgehender, unangenehmer. Im letzten Herbst, etwa um die Zeit, als dieser Farmertyp ...«
Er verlor sich in Gedanken und saß ein paar Augenblicke lang rauchend da, und auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck von Frustration und unbestimmtem Ärger.
»Na?« drängte ich. »Was war da?«
»Speziell?« Er zuckte die Achseln. »Ich kann es dir nicht sagen. Ich erinnere mich kaum an etwas, das in dieser Nacht passierte – was nicht heißen soll, daß der Tenor nicht klar genug wäre ...« Er verstummte, wollte etwas sagen, besann sich, schüttelte den Kopf. »Ich meine, nach jener Nacht war es für jeden offenkundig. Nicht, daß man’s nicht auch schon vorher gewußt hätte. Es ist bloß, daß Charles so viel schlimmer war, als irgend jemand erwartet hätte. Ich ...«
Er starrte eine Zeitlang ins Leere. Dann schüttelte er den Kopf und griff nach einer neuen Zigarette.
»Es ist unmöglich, das zu erklären«, sagte er. »Aber man kann es auch auf einem extrem einfachen Level betrachten. Sie waren immer scharf aufeinander, diese beiden. Und ich bin zwar nicht prüde, aber diese Eifersucht finde ich doch erstaunlich. Eins muß ich Camilla zugute halten: Sie ist vernünftiger in diesem Punkt. Vielleicht muß sie es sein.«
»In welchem Punkt?«
»Was Charles angeht, und daß er mit Leuten ins Bett geht.«
»Mit wem ist er denn ins Bett gegangen?«
Er hob sein Glas und trank einen großen Schluck. »Mit mir zum Beispiel. Das
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