Die geheime Geschichte: Roman (German Edition)
dürfte dich nicht überraschen. Wenn du so viel trinken würdest wie er, das wage ich zu behaupten, wäre ich auch schon mit dir im Bett gewesen.«
Trotz der spöttischen Anspielung – die mich normalerweise geärgert hätte – lag eine melancholische Note in seinem Ton. Er trank seinen Whiskey aus und setzte das Glas mit einem Knall auf dem Beistelltisch ab. Nach einer Pause fuhr er fort. »Es ist nicht oft vorgenommen. Drei- oder viermal. Das erstemal, als ich im zweiten Studienjahr war und er neu. Wir waren bis in die Nacht hinein aufgeblieben, hatten in meinem Zimmer getrunken, eines führte zum anderen ... Jede Menge Spaß in einer Regennacht, aber du hättest uns am nächsten Morgen beim Frühstück sehen sollen.« Er lachte verzweifelt. »Erinnerst du dich an die Nacht, als Bunny gestorben war?« fragte er. »Als ich bei dir im Zimmer war? Und als Charles uns in diesem ziemlich unglücklichen Augenblick störte?«
Ich wußte, was er mir erzählen würde. »Du bist mit ihm weggegangen«, sagte ich.
»Ja. Er war schrecklich betrunken. Genau genommen ein bißchen zu betrunken. Was ihm sehr entgegenkam, denn am nächsten Tag tat er so, als könne er sich an nichts erinnern. Charles neigt
jedesmal zu solchen Anfällen von Gedächtnisschwund, wenn er die Nacht bei mir verbracht hat.« Er sah mich aus dem Augenwinkel an. »Er leugnet dann alles ganz überzeugend, und was noch mehr ist: Er erwartet, daß ich mitspiele, weißt du, und so tue, als sei das alles nie passiert«, sagte er. »Ich glaube nicht mal, daß er es tut, weil er ein schlechtes Gewissen hat. Tatsächlich tut er es auf diese so besonders unbeschwerte Art und Weise, die mich zur Raserei treibt.«
»Du hast ihn sehr gern, nicht wahr?«
Ich weiß nicht, was mich trieb, das zu sagen. Francis zuckte nicht mit der Wimper. »Ich weiß nicht«, sagte er kalt und griff mit langen, nikotingelben Fingern nach einer Zigarette. »Ich mag ihn ganz gern, nehme ich an. Wir sind alte Freunde. Ich mache mir keineswegs vor, daß es mehr als das sein könnte. Aber ich habe viel Spaß mit ihm gehabt, und das ist mehr, als du über Camilla sagen kannst.«
Bunny hätte das einen Schuß vor den Bug genannt. Ich war zu überrascht, um zu antworten.
Francis konnte seine Genugtuung nicht verbergen, aber er kommentierte den Punktgewinn nicht weiter. Er lehnte sich in seinem Sessel vor dem Fenster zurück; die Konturen seines Haarschopfes leuchteten metallisch rot in der Sonne. »Es ist unglückselig, aber so ist es nun mal«, sagte er. »Keinem der beiden liegt etwas an irgend jemandem außer an sich selbst. Sie präsentieren sich gern als geeinte Front, aber ich weiß nicht mal, wieviel ihnen eigentlich aneinander liegt. Auf alle Fälle bereitet es ihnen ein perverses Vergnügen, jemanden an der Nase herumzuführen – o ja, das tun sie mit dir«, fuhr er fort, als ich ihm ins Wort fallen wollte. »Ich hab’ sie beobachtet. Auch bei Henry. Er war immer verrückt nach ihr; das ist dir sicher bekannt, und nach allem, was ich weiß, ist er es immer noch. Was Charles angeht – nun, im Prinzip steht er auf Mädchen. Wenn er betrunken ist, genüge ich ihm. Aber – gerade wenn es mir gelungen ist, meine Gefühle zu panzern, dreht er sich um und ist so süß . Ich falle immer wieder drauf rein. Ich weiß nicht, warum.« Er schwieg für einen Moment. »Wir sehen nicht besonders toll aus in meiner Familie, weißt du – spitze Knöchel und Wangenknochen und Hakennasen«, sagte er. »Vielleicht habe ich deshalb die Neigung, physische Schönheit mit Qualitäten gleichzusetzen, mit denen sie absolut nichts zu tun hat. Ich sehe einen hübschen Mund oder ein Paar schwermütige Augen und bilde mir alle möglichen Arten von tiefgehender Affinität und besonderer
Seelenverwandtschaft ein. Auch wenn sich tausendmal ein halbes Dutzend Idioten um dieselbe Person drängeln, weil sie auf dasselbe Paar Augen reingefallen sind.« Er lehnte sich hinüber und drückte energisch die Zigarette aus. »Sie würde sich sehr viel mehr wie Charles benehmen, wenn sie dürfte; aber er ist so besitzergreifend und hält sie an ziemlich kurzer Leine. Kannst du dir eine schlimmere Situation vorstellen? Er beobachtet sie mit Falkenaugen. Und er ist auch ziemlich arm – nicht, daß es besonders wichtig wäre«, fügte er hastig hinzu, als ihm einfiel, mit wem er da redete, »aber es ist ihm unaufhörlich bewußt. Sehr stolz auf seine Familie, weißt du, und sich sehr im klaren darüber, daß er
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